Was passiert, wenn man sich mit Anfang 30 plötzlich mitten in einer beginnenden Lebenskrise befindet? Nach zahlreichen tollen, aber anstrengenden Projekten und einigen privaten Rückschlägen fühlte ich mich Ende des letzten Jahres ausgebrannt und leer. Ging mir Projektejonglieren früher immer leicht von der Hand und kein Termin durch die Lappen, kam ich plötzlich an einen Punkt, an dem es nicht mehr weiterging. Ich hatte nach einem vollen Tag in der Agentur teilweise nichts abgehakt, schaffte auch im Privatleben nichts mehr und fühlte mich bei Kleinigkeiten überfordert. Eine Lösung musste her, bevor Kollegen, Kunden und Freunde anfingen darunter zu leiden – oder ich die Lust am Job verlor. Im Hinterkopf meldete sich seit einiger Zeit immer wieder die weinerliche, leicht vorwurfsvolle Stimme meines jüngeren Ichs: „Warum arbeitest du nicht mit Tieren? Wieso hast du das Tiermedizinstudium damals nicht durchgezogen?“ Nach einem Trauerfall in der näheren Familie wusste ich, dass ich Nägel mit Köpfen machen musste, und so begann mein persönliches Abenteuer in Namibia auf einer Wildtierfarm.
Schluss mit Ausreden – Es gibt immer einen Weg
„Ich möchte nach Namibia und brauche einen Monat frei!“ – so stand ich eines Tages im November vor Nora. Ich hatte mir bereits zurechtgelegt, welche Argumente ich anbringen würde, wenn es hart auf hart käme. Doch statt auf Unverständnis stieß ich auf offene und verständnisvolle Ohren. Gut, nicht jeder Chef würde wohl so reagieren, aber trotz all der Work-Life-Balance, die bei uns propagiert und gelebt wird, war ich mir nicht sicher. „Wir können dir doch nicht vorschreiben, wie du deine Zeit verbringst“, so Nora ganz trocken.

Dieses Baby hat bei mir übernachtet
Schwarze Schafe und Einhörner – Das richtige Projekt finden
Als der Wunsch nun konkreter wurde, recherchierte ich im Internet und las viele Bewertungen und Meinungen zu verschiedensten Projekten und deren Anbietern. Namibia sollte es sein, da dort viele Tiere, die mich interessieren (u.a. der Afrikanische Wildhund) leben und es eine Menge Wildlife Conservation Projekte gibt. Nicht alle sind seriös, einige agieren eher als Streichelzoo und haben gar nicht im Sinn, Tiere wieder auszuwildern. Diese Liste gibt einen ganz guten Überblick. Recht schnell stieß ich auf die N/a’an ku sê Foundation und wusste direkt, dass ich dorthin muss.

Baboon-Walk mit den Teenagern und den Babys
N/a’an ku sê – Wildlife Conservation ist kein Streichelzoo

Afrikanische Wildhunde
N/a’an ku sê besteht aus verschiedenen Projekten und wurde von Marlice und Rudie van Vuuren gegründet, um Namibia ein Stückchen besser zu machen. Mit dem Wildlife Sanctuary, den drei Research Projekten, einer Schule und einer Klinik für Bushmen stehen Freiwilligen viele Möglichkeiten offen, den Erhalt von Kulturen, Landschaft und Tierwelt zu unterstützen. Für mich war vor allem wichtig, dass hier viel dafür getan wird, Tiere wieder in ihre natürliche Umgebung zu entlassen. In diversen Research-Projekten, z.B. mit Hyänen oder Afrikanischen Wildhunden lernt und hilft man gleichzeitig. Erst nach der Buchung las ich, dass N/a’an ku sê von Ex-Brangelina gesponsort wird, da eins der Kinder aus Namibia stammt.
Dreck, Schlamm und Schweiß – Ackern für den Seelenfrieden
Nach intensiver Vorbereitung, Recherche und vielen Besuchen bei Globetrotter, hatte ich die perfekte Ausrüstung zusammen: Kopflampe, Wüstenstiefel, Multifunktionshose und, und, und – in voller Montur konnte es nun losgehen nach Afrika!
In N/a’an ku sê standen wir täglich früh auf, wurden sehr dreckig, arbeiteten körperlich hart bei hohen Temperaturen und ich habe jede Sekunde unfassbar geliebt. An Zuhause, Kunden und vermeintliche Probleme dachte ich schon beim Aussteigen aus dem Flugzeug in Windhoek kaum mehr. Die körperliche Auslastung sorgte dafür, dass das Im-Kreis-Denken endlich ein Ende fand und meine Gedanken konstruktiver wurden. Beim Gehege saubermachen, Futter zubereiten, FIT (Footprint Identification), Game Count (Tiere zählen für die Statistik), Geparden und Pavianen spazieren führen, sowie unendlich vielen weiteren Aktivitäten rund um Wildlife Conservation fand ich meinen ganz persönlichen Frieden. Die regelmäßigen Übernachtungen von verwaisten Baby-Pavianen in kleinen Windeln in meinem Zelt gaben meinem Herz dann den Rest. In kürzester Zeit verwandelte ich mich von einer Stadtgöre mit Krabbeltier-Phobie und Angst im Dunkeln zu einer weiblichen Form von Indiana Jones. Meine Superpower: eine gut ausgestattete Reiseapotheke und Sonnencreme LSF50+.

Gepard beim Spaziergang

KFC (Kanaans finest cheetah) beim FIT
Zurück in Berlin – After-Reise-Depression und Veränderung
Als ich wiederkam, war anfangs alles zu laut, zu irrelevant, die Probleme keine echten und Namibia auf einmal wieder viel zu weit weg. Eine echte After-Reise-Depression. Zum Glück empfingen mich meine Kollegen zuckersüß und so herzlich, dass die größte Sehnsucht schnell überwunden war. Für mich ist trotzdem klar: Die Reise hat mich verändert. Kleinigkeiten, die uns im Alltäglichen auf die Palme bringen, werden noch kleiner, wenn man echtes Elend wie Wasserknappheit oder Hunger gesehen hat. Aussterbende Tierarten und zerstörte Wüsten sind wichtiger als eine verpasste U-Bahn.
Für mich ist nach diesem Abenteuer klar: Ich möchte mein Leben nicht ausschließlich vor dem Laptop im Büro verbringen. Ein Mal im Jahr, zusätzlich zum regulären Urlaub, möchte ich mir unbezahlt frei nehmen und mich verschiedenen Projekten widmen. Zum Beispiel mit Wölfen in Kanada arbeiten oder wieder zurück nach Namibia, um die liebgewonnenen Tiere und Koordinatoren wiederzusehen. Finanziell ist das in jedem Fall machbar, wenn man den Rest des Jahres sparsamer lebt. Das Leben ist einfach viel zu kurz, um es hinter dem Bildschirm zu verbringen.

Namib Naukluft Park
Fotos: © Katharina Braun
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Redaktion
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