Es war einmal eine perfekte Geschichte – bis niemand mehr daran glaubte.
Es klingt verführerisch: eine klare Story, ein Held oder eine Heldin, ein Happy End – fertig. Kein Platz für Zweifel, keine lästigen Zwischentöne. Fairytelling reduziert komplexe Wirklichkeit auf einfache Erzählmuster, die sofort wirken: emotional, eingängig und scheinbar überzeugend. Kein Wunder, dass diese Art des Erzählens in Zeiten von Polarisierung und schneller Aufmerksamkeit so beliebt ist.
Was zunächst glänzt, hat jedoch einen Preis: Wer nur Märchen erzählt, verliert über kurz oder lang seine Glaubwürdigkeit. Denn echte Beziehungen entstehen nicht durch glattgebügelte Berichte, sondern durch Erzählungen, die Brüche und Widersprüche zulassen. Im Kampf gegen Lügen und Manipulation wird authentisches Storytelling damit wichtiger denn je.

Die Schwächen des „Fairytellings“
Fairytelling – wenn Geschichten unrealistisch, verzerrt oder absichtlich ausgeschmückt werden, um ein Ziel zu erreichen. Die Intention kann hierbei Unterhaltung, Manipulation oder das Vermitteln eines bestimmten unwahren Bildes sein. Es verspricht einfache Antworten in einer komplexen Welt. Mit klaren Held:innen, schnellen Lösungen und einem garantiert glücklichen Ende, erfüllt es die Sehnsucht nach Orientierung und Sicherheit in Zeiten von Unsicherheit und Polarisierung. Genau hier liegt die Schwäche des Fairytellings: Es vereinfacht, wo eine differenzierte Betrachtung nötig wäre. Es blendet aus, wo Widersprüche dazugehören. Und es schafft Erwartungen, die der Realität selten standhalten.
Je glatter und perfekter eine Geschichte erzählt wird, desto größer ist die Gefahr, dass sie bei genauerem Hinsehen an Glaubwürdigkeit verliert. Das ist auch der Grund, warum Fairytelling in der Kommunikation immer weniger funktioniert. Wir suchen keine perfekten Protagonist:innen, die stets siegen. Wir suchen nach Held:innen, die uns mit all ihren Höhen und Tiefen, ihren Niederlagen und Rückschlägen widerspiegeln. Denn wird die Diskrepanz zwischen erzähltem Ideal und tatsächlicher Erfahrung zu groß, schlägt Faszination in Misstrauen um. Fairytelling mag kurzfristig beeindrucken – langfristig untergräbt es das Vertrauen, das echte Beziehungen braucht.
Ein eindrückliches Beispiel für die Risiken des Fairytellings ist der Fall Theranos. Elizabeth Holmes, Gründerin des Startups, versprach eine medizinische Revolution: Bluttests, die mit nur wenigen Tropfen Hunderte Krankheiten erkennen sollten. Die Geschichte klang perfekt: Junges Talent, bahnbrechende Innovation, eine bessere Zukunft. Investor:innen, Medien und prominente Politiker:innen ließen sich von dieser makellosen Erfolgsgeschichte begeistern, obwohl es kaum Belege für die Technologie gab. Erst später, als massive Zweifel und Enthüllungen auftauchten, wurde klar: Die schöne Geschichte war zu gut, um wahr zu sein. Das Resultat: ein dramatischer Vertrauensverlust und eine Verurteilung wegen Betruges.

Auch in der Modewelt führt Fairytelling manchmal zu Vertrauensverlust – besonders, wenn Nachhaltigkeit behauptet wird, wo keine stattfindet. Ein Beispiel dafür, ist die im Jahr 2022 gelaunchte Produktlinie „EvoluShein“ des chinesischen Fast-Fashion-Riesen Shein. Eine neue Produktlinie, die angeblich auf recycelten Materialien und nachhaltigeren Produktionsmethoden basieren sollte. Die Kampagne versprach, dass Käufer:innen nun „bewusster“ konsumieren könnten, ohne auf günstige Preise verzichten zu müssen.
Gleichzeitig setzte Shein seine aggressive Expansionsstrategie fort: Täglich wurden Zehntausende neue Artikel hochgeladen, Produktion und Versand erfolgten weiterhin in höchster Geschwindigkeit und unter teils intransparenten Bedingungen.
Untersuchungen von Organisationen, wie Public Eye und Eco-Age, kritisierten, dass Shein keinerlei glaubwürdige Nachweise für umfassende Nachhaltigkeitsstandards vorlegte und weiterhin auf extremen Massenkonsum setzte. Somit wird „EvoluShein“ von Fachleuten eindeutig als klassisches Greenwashing eingestuft, welches Nachhaltigkeit nur vorgaukelt.
Die Macht des Storytellings: Authentisch erzählen, nachhaltig wirken
Authentizität ist der Schlüssel zu einer echten und nachhaltigen Beziehung zwischen Brand und Konsument:innen. Im Gegensatz zu den glatten Erfolgsgeschichten sprechen authentische Erzählungen das an, was uns als Menschen ausmacht: unser Bedürfnis nach Wahrheit, nach Ehrlichkeit und nach realen Erlebnissen. Echte Geschichten haben Ecken und Kanten. Sie zeigen nicht nur den Erfolg, sondern auch die Rückschläge, die gelernt wurden, und die Hindernisse, die überwunden werden mussten. Genau das macht sie so kraftvoll und glaubwürdig. Denn Glaubwürdigkeit vermittelt Vertrauen, und das ist die Basis jeder langfristigen Kundenbindung. Zahlreiche Marken haben erkannt, dass ehrliches Storytelling nicht Schwäche bedeutet, sondern Stärke beweist. Einige beeindruckende Kampagnen zeigen, wie aufrichtiges Erzählen Vertrauen schaffen kann.
Ein großartiges Beispiel für authentisches Storytelling lieferte Nike mit ihrer deutschen „Just Do It“-Kampagne von 2019 mit dem Titel „Helden“. In diesem Video werden verschiedene Sportler:innen wie Mario Götze, Leroy Sané und Zeina Nassar gezeigt, die sich Herausforderungen stellen und für ihre Träume kämpfen. Die Kampagne thematisiert soziale Themen, wie Diskriminierung und Integration, und nutzt die Musik von David Bowies „Heroes“, um die emotionale Wirkung zu verstärken.
Der Spot dreht sich nicht um die Kleidung selbst, vielmehr geht es um die Werte, die mit dem Sport verbunden sind: Durchhalten, sich selbst herausfordern und gegen Widrigkeiten ankämpfen. Nike stellt nicht nur die strahlenden Gewinner:innen ins Rampenlicht, sondern auch die Kämpfer:innen, die auf dem Weg dorthin gescheitert sind und sich trotzdem wieder aufgerappelt haben. Diese Erzählweise wirkt viel greifbarer und inspirierender als eine Geschichte, in der alles glatt läuft.
Ein weiteres Beispiel ist das Unternehmen Patagonia. In seinen Kampagnen spricht das Unternehmen nicht nur über seine umweltfreundlichen Produkte, sondern auch über die Herausforderungen, die der Umweltschutz mit sich bringt. Sie geben Fehler zu und zeigen, dass der Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft voller Kompromisse und schwieriger Entscheidungen steckt. Genau diese Authentizität hat ihnen eine riesige treue Anhängerschaft eingebracht – Menschen, die sich mit den Werten des Unternehmens identifizieren können, weil es eben nicht nur die glänzenden Erfolge feiert, sondern auch die schwierigen Momente mit uns teilt.
Wie genau Patagonia Storytelling betreibt, hat Rebecca in ihrem Blogpost „Zwischen Gipfeln und Geschichten: Patagonias narrative Expedition“ beleuchtet.
Die Volvo-Kampagne „A Million More” aus dem Jahr 2020 ist ein weiteres herausragendes Beispiel für emotionales und authentisches Storytelling – auch wenn es hier gar nicht um die Marke selbst geht. In dem vierminütigen Schwarz-Weiß-Spot lässt Volvo echte Unfallüberlebende zu Wort kommen, die ihr Leben dem Sicherheitsgurt verdanken. Sie lesen historische Zitate vor, die die Einführung des Dreipunkt-Sicherheitsgurts 1959 kritisierten: Aussagen wie „Das ist eine Verletzung der Menschenrechte“ oder „Besser rausgeschleudert als eingeklemmt“. Statt auf überhöhte Markeninszenierung zu setzen, lässt Volvo echte Menschen sprechen – Personen, deren Leben durch Sicherheitsinnovationen der Marke gerettet wurde – und zeigt damit Authentizität und spürbare Haltung.
Happy End: Mit Storytelling zur echten Verbindung
Authentisches Storytelling schafft Nähe, baut Vertrauen auf und ermöglicht echte Beziehungen – sei es zwischen Marken und Konsument:innen, zwischen Unternehmen und Mitarbeiter:innen oder zwischen Menschen und ihren Werten. Im Kampf gegen Manipulation und Oberflächlichkeit ist ehrliches, mutiges Erzählen wichtiger denn je. Denn nur wer wagt, auch Unperfektes sichtbar zu machen, bleibt glaubwürdig – und berührt nachhaltig.
Mehr über Fairytelling erfahrt ihr in unserem Beitrag über Trump und die dunkle Seite des Storytelling.