Wann habt ihr zuletzt ein Diagramm gesehen, das euch noch Tage später im Kopf geblieben ist?
Die meisten von uns werden sich schwer tun, eine Erinnerung zu finden. Ganz anders verhält es sich mit Videos: Bilder, Stimmen und Musik können sich regelrecht ins Gehirn einbrennen. Warum nicht also auch Daten in dieses Medium bringen?
Im Rahmen meiner Statistikvorlesung im Masterstudium sollte ich mithilfe einer Clusteranalyse verschiedene Nutzergruppen aus einem riesigen Datensatz zu Video-on-Demand in Deutschland herausarbeiten. Die Ergebnisse waren zunächst – wie so oft in der Statistik – reihenweise Zahlen und abstrakte Gruppennamen. Schon damals fiel mir auf, dass es einfacher ist, den Zahlen und Clustern ein Gesicht zu geben. Aus den „Klassischen Nutzer:innen“ wird dann bspw. die Tatort-Gruppe. Diese Assoziation identifizieren die meisten von uns höchstwahrscheinlich mit Menschen in ihrem Umfeld. Erst mit diesem Bild im Kopf wird aus dem Datagraph eine echte, lebendige Geschichte und aus anonymen Gruppen wahrhaftige Menschen.
Das linke Bild zeigt: Relationen mit abstrakten Gruppennamen bleiben unverständlich und hinterlassen oft keinen bleibenden Eindruck.
Diagramme und Dashboards zeigen zwar Daten, aber sie erzählen selten. Menschen hingegen verarbeiten Informationen besser, wenn visuelle und auditive Kanäle kombiniert werden. Ein Video ist dafür ideal – es bindet unsere Aufmerksamkeit, kann Spannung aufbauen und Emotionen verstärken.
Während klassische Visualisierung bei Fakten stehen bleibt, geht Data Storytelling im Video einen Schritt weiter: Es verknüpft Informationen mit dramaturgischem Aufbau und emotionalem Gehalt. Oder wie es die Forschung beschreibt: Erfolgreiche Geschichten verbinden Ethos (Glaubwürdigkeit), Pathos (Emotion) und Logos (Logik) (Schröder et al., 2023).
Videos dienen zudem verschiedenen Kommunikationszielen: von Produktpräsentationen über Erfahrungsberichte bis hin zu Imagebildung, Vertrauensaufbau oder Wissensvermittlung. Eine wirksame Videokommunikation kombiniert spezifische, verständliche und relevante Informationen mit Emotionen und gesellschaftlichen Themen, um Haltung und Interaktion positiv zu beeinflussen. (Dong et al., 2023 & Yong & Lee, 2022)
„Videos haben die Macht, ihren Zuschauer:innen auf verschiedenen Ebenen zu begegnen. Das Zusammenspiel von Bild und Ton gibt dem Medium eine Wirkung, die es ermöglicht, die komplexesten Inhalte zum Leben zu erwecken und erlebbar zu machen.“
Linus Burkel, Storytelling-Trainee bei Mashup Communications
Quelle: Eigene Darstellung nach Cao et al.
Diese Typen zeigen: Nicht jedes Data Video will dasselbe erreichen. Entscheidend ist das Ziel – ob informieren, bewegen oder anregen.
Im Gegensatz zur traditionellen Visualisierung, die vor allem Fakten darstellt, kombiniert Data Storytelling diese Daten mit persönlichen Perspektiven, um eine emotionale Verbindung zu schaffen. Gute Geschichten folgen fast immer einem Spannungsbogen. Auch Data Videos bedienen sich dieser Struktur – oft in der Form von:
Hook: Kontext setzen und Interesse wecken
Hold: Konflikte, Herausforderungen und Erkenntnisse erforschen
Payoff: Eine klare, bedeutungsvolle Botschaft vermitteln
Verschiedene Storytypen zudem helfen dabei, komplexe Inhalte verständlich zu machen – etwa den Wandel über eine Zeitspanne, Detailanalysen, Vergleiche oder das Hervorheben von Ausnahmen.
Mehr spannende Beispiele und einen ausführlichen Leitfaden findet ihr hier: 5 Gründe für’s Data Storytelling.
Wie sehen solche Prinzipien nun in der Praxis aus? Drei sehr unterschiedliche Videos zeigen, wie Daten mit Hilfe von Storytelling, verschiedener Genres und dramaturgischer Mittel zum Leben erweckt werden können: vom emotionalen Appell über anschauliche Wissensvermittlung bis hin zur schrittweisen Auflösung einer komplexen Ungleichheit.
Volvo zeigt eindrucksvoll, wie Daten zum Leben erwachen. Volvos Video zur E.V.A.-Initiative ist ein Musterbeispiel für wirkungsvolle Überzeugung (Persuasion). Gleich zu Beginn zieht die Kamera auf Crash-Test-Dummies bei Unfällen alle Aufmerksamkeit auf sich, unterstützt von dynamischer Musik und visuellen Effekten. Während die Szenen ablaufen, werden Fakten sichtbar: Frauen sind deutlich stärker gefährdet, weil Autos häufig auf männliche Dummies ausgelegt sind. Am Ende liefert Volvo die Auflösung – seit den 1970er-Jahren stellt das Unternehmen reale Unfalldaten bereit, um die gesamte Branche zu sichereren Standards zu bewegen. Die Zahlen bleiben dabei nicht abstrakt. Sie bekommen ein Gesicht in Form animierter Dummies und einer klaren Botschaft: Sicherheit darf keine Frage des Geschlechts sein.
Kaum ein Video verdeutlicht so eindrücklich, wie mächtig visuelle Metaphern sein können, wie Powers of Ten. Die Kamera beginnt bei einem ganz normalen Picknickplatz und zoomt Schritt für Schritt ins Universum hinaus, nur um dann wieder tief in die Hautzellen eines Menschen hineinzutauchen.
Das Besondere an diesem Ansatz: Alle Fakten über Größenordnungen und Dimensionen aufzulisten, hätte kaum jemanden fasziniert. Erst durch den visuellen „Flug“ entsteht ein lebendiges Bild im Kopf, das den abstrakten Zahlen Bedeutung verleiht.
Hier zeigt sich die klassische Dramaturgie eines erfolgreichen Factual-Knowledge-Videos: Der Einstieg gelingt über eine einfache Alltagsszene, die sofort Vertrautheit schafft. Von dort aus öffnet sich der Blick Schritt für Schritt, sodass am Ende ein anderes Verständnis von Größenordnungen entsteht und die Erkenntnis, welchen Platz wir selbst in diesem Gefüge einnehmen.
Die Erzählweise von The Inequality of American Wealth folgt einem Prinzip, das man als Chain of Facts bezeichnen kann: Eine Kette von Fakten, die logisch aufeinander aufbauen, sich Schritt für Schritt verdichten und am Ende in einem Aha-Moment gipfeln. Das Genre bewegt sich zwischen Knowledge und Persuasion.
Gerade bei einem Thema wie Vermögensverteilung ist dieser Ansatz entscheidend. Zahlen, Quintile und Prozentwerte wirken auf viele zunächst sperrig und abstrakt – ein Grund, warum sie oft schnell ausgeblendet werden. Doch das Video wählt einen anderen Weg: Es startet mit einfachen Fragen und klaren Balkendiagrammen, die den Zugang erleichtern. Von dort an entfaltet sich das Bild Stück für Stück. Jede neue Information fügt sich in die Kette ein und veranschaulicht die Dimensionen der Ungleichheit.
Am Ende entsteht so ein differenziertes Verständnis: Die reale Verteilung des amerikanischen Wohlstands weicht erheblich von den Erwartungen vieler Menschen ab. Durch die klare Abfolge der Fakten bleibt diese Erkenntnis besser im Gedächtnis und macht das Video zu einem anschaulichen Beispiel dafür, wie komplexe Inhalte verständlich vermittelt werden können.
Die Beispiele zeigen, dass Storytelling (Dramaturgie und Genre) nicht theoretisch bleibt, sondern als praktisches Werkzeug Daten verständlich und einprägsam macht.
Kontext schaffen: Eine klare Leitfrage formulieren.
Emotionen nutzen: Bilder, Musik, Metaphern.
Dramaturgie anwenden: Hook – Hold – Payoff.
Genre wählen: Jedes Ziel braucht einen passenden Typ.
Kombination nutzen: Visuelle + auditive Kanäle verstärken sich.
Glaubwürdigkeit sichern: Quellen offenlegen, Transparenz schaffen.
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