Lifestyle & Gesundheit

Vertrauen via App? Wie Storytelling Mental-Health-Angebote zugänglicher macht

Wenn die Seele leidet, zählt jeder Tag – doch wer heute psychologische Hilfe benötigt, wartet oft Monate. Für einen von der Krankenkasse finanzierten Therapieplatz steht man hierzulande durchschnittlich 18 bis 20 Wochen lang Schlange. Denn laut der Bundespsychotherapeutenkammer fehlen bundesweit mindestens 1.600 Kassensitze, um den Bedarf zu decken.

Patient:innen, die keinen schnellen Zugang zu einem Therapieplatz finden, sind oft gezwungen, auf andere Unterstützungsangebote zurückzugreifen: Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen oder digitale Angebote. Der Markt dafür boomt in Europa: Immer mehr Unternehmen setzen auf digitale Lösungen für mentale Gesundheit – von niederschwelligen Meditations-Apps bis hin zu Onlinekursen. Auch im B2B-Bereich entdecken Organisationen solche Angebote für ihre Mitarbeitenden als Teil ganzheitlicher Gesundheitsstrategien. Die Möglichkeiten sind riesig. Doch wie bringen Tech-Firmen ihre Nutzer:innen dazu, einen Seelen-Striptease hinzulegen? Und wie überzeugen sie Organisationen, in etwas so Unsichtbares wie mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu investieren?

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Hürden: Stigmatisierung und Unsicherheit

Gesundheit ist persönlich, mentale Gesundheit ein sensibles Thema. Und Tech leider oft das Gegenteil. Deshalb ist es so wichtig, dass HealthTech-Anwendungen nicht nur ihre Funktionen erklären, sondern Vertrauen zu den Nutzer:innen aufbauen. Studien zeigen, dass Stigmatisierung und Unsicherheit zentrale Hürden bei der Nutzung digitaler Mental-Health-Angebote sind. Nutzer:innen wollen nicht nur wissen, wie ein Tool funktioniert, sondern warum sie ihm vertrauen sollten – und wie es ihnen persönlich helfen kann. Was dafür zielführend ist? Narrative, die evidenzbasiert und emotional anschlussfähig sind.

Wissenschaft trifft Emotionen: Was Kommunikation leisten muss

Unser Gehirn liebt Geschichten. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass beim Erzählen von Geschichten das Hormon Oxytocin ausgeschüttet wird – ein Botenstoff, der Empathie, Vertrauen und Verbundenheit fördert. Genau das brauchen wir, wenn wir über sensible Themen wie Depression, Angststörungen oder Burnout sprechen. Stories, die auf realen Erfahrungen beruhen und mit wissenschaftlichen Fakten unterfüttert sind, steigern sowohl Verständnis als auch Vertrauen in gesundheitliche Maßnahmen. Besonders effektiv sind:

Betroffene zu Botschafter:innen machen

Authentische Erfahrungsberichte von User:innen, die konkrete Probleme mit digitalen Lösungen bewältigt haben, schaffen Identifikation. Wichtig: Die Geschichten sollten nicht dramatisieren, sondern empowern und zeigen, dass Hilfe möglich und Heilung individuell ist.

Die Sprache der Zielgruppe sprechen

Fachbegriffe sind oft nicht greifbar und erzeugen Distanz. Klarheit und Einfachheit erzeugen hingegen Zugänglichkeit. Nutzt eine Sprache, die

  • einfühlsam, aber nicht mitleidig ist.
  • fachlich korrekt ist und dabei verständlich bleibt.
  • ermutigt, statt Angst zu machen.
Empathische Gründer:innen-Narrative

Warum wurde das Unternehmen gegründet? Welche persönliche Motivation steckt dahinter? Das ist wichtig, weil Vertrauen durch Identifikationspotenzial entsteht, nicht bloß durch durchdachte Funktionen in der App. Wer erzählt, sollte auch mitdenken, für wen er:sie erzählt: Psychische Belastungen betreffen Menschen marginalisierter Gruppen besonders stark. Ein kurzer Hinweis auf Gender, sozioökonomischen Kontext oder kulturelle Unterschiede kann helfen, Sensibilität zu zeigen.

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Von den Vorreitern lernen: Best Practices

Ein Blick in die Praxis zeigt: Es gibt nicht die eine richtige Erzählweise, aber sehr wohl erfolgreiche Ansätze. Drei Unternehmen auf dem deutschen Markt sind besonders erfolgreich und bekannt. Ihr Ziel ist ähnlich, der Weg dahin jedoch verschieden. 

Selfapy: Digitale Psychotherapie mit persönlicher Begleitung

Bei Selfapy gibt es Online-Therapie auf Rezept. Die Inhalte der 12-wöchigen Online-Kurse basieren auf kognitiver Verhaltenstherapie (CBT) und wurden von approbierten Psycholog:innen entworfen. Sie richten sich an Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, generalisierter Angststörung oder Bulimie. 

In der Kommunikation dominieren strukturierte Informationen, geprüfte Inhalte und echte psychologische Expertise. Studien, etwa zur Wirksamkeit bei Depressionen, Angst- oder Essstörungen, sind zentraler Bestandteil des Storytellings. Dabei stehen nicht nur die Zahlen im Vordergrund, sondern auch die Botschaft: „Du bist nicht allein, und wir behandeln dich mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie in einer klassischen Praxis.“ Selfapy vermittelt einen therapeutischen Schutzraum – digital, aber auf Klinikniveau.

HelloBetter: Prävention und Selbsthilfe für alle

HelloBetter hingegen rückt den Alltag in den Fokus. Die Kommunikation ist niedrigschwelliger, emotionaler und häufig visuell aufbereitet. In Blogbeiträgen werden User:innen-Erfahrungen und psychologische Hintergründe in einfache, zugängliche Formate übersetzt. Studien gibt es auch hier, sie stehen jedoch eher im Hintergrund. HelloBetter richtet sich nicht nur an Menschen, die akut therapeutische Hilfe benötigen, sondern zeigt, dass sich eine frühzeitige Intervention lohnt und die Integration in den Alltag einen Unterschied macht.  

Nilo: Mentale Gesundheit als Business Case

Nilo zielt klar auf die Arbeitswelt. Mit einem strategischen Storytelling-Ansatz spricht das Unternehmen Entscheider:innen und HR-Teams an. Mental Health wird hier als Erfolgsfaktor positioniert – mit Argumenten zu Produktivität, Employer Branding und Retention. In Whitepapers finden Unternehmen direkt Werkzeuge, um das Thema im eigenen Betrieb zu verankern. Nilo verbindet Daten mit Emotion und übersetzt mentale Gesundheit in die Sprache der Wirtschaft.

Fazit: Storytelling als Türöffner für digitale Therapieangebote

Ob Prävention, akute Hilfe oder Retention-Booster: Die Best-Practices zeigen, wie eine durchdachte Kommunikation nach den Prinzipien des Storytellings digitale Angebote zugänglicher macht. In Anbetracht des bundesweiten Mangels an Therapieplätzen mit Kassenzulassung und steigenden Fallzahlen ist das Mental-Health-Tech-Angebot ein entscheidender Faktor, die Versorgungslücken zu stopfen und tausenden Menschen zu helfen. 

Rebecca Schneider

Auf der Suche nach Lösungen begibt sich Optimistin Rebecca in die Tiefen des Internets oder ihrer Gedankenwelt.

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