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Planet Storytelling: Argentinien
Planet Storytelling 6. September 2023

Planet Storytelling: Argentinien

Heute führt uns die Planet Storytelling Reise auf unserem Blog nach Südamerika, zum zweitgrößten Land des Kontinents: Argentinien. Ein Staat, der vielen als Einwandererort bekannt ist, da er in internationalen Kriegs- und Krisenzeiten Zuflucht für Migrant:innen aus den unterschiedlichsten Ländern war. So flohen auch viele Deutsche zum Ende des zweiten Weltkriegs in das Land von Tango, Steak und Fußball. Der Großteil an Zugewanderten stammt jedoch aus Italien und Spanien, die den Staat mitprägten.

Der argentinische Autor Jorge Luis Borges fasst die Argentinier und Argentinierinnen scherzhaft wie folgt zusammen: „Italiener, die Spanisch sprechen und gerne Engländer wären, die glauben, in Paris zu leben.“ Dieser Ausdruck macht den Mix aus den verschiedenen Nationen deutlich, die in dem südamerikanischen Staat zusammenkommen und sich in der Kultur widerspiegeln.

Das an den Atlantischen Ozean grenzende Land hat neben seiner international angesehen Fußballnationalmannschaft und dem Star Lionel Messi auch in Hinblick auf Theater, Oper und Literatur viel zu bieten – vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires. So ist Argentinien bekannt für sein leidenschaftliches und dramatisches Storytelling. Ob in der Musik, im Film oder in Textform, die argentinischen Menschen lieben es, Geschichten zu erzählen. Ihre Darstellungen spiegeln oft die Komplexität ihrer Vergangenheit, Gesellschaft und Identität wider, und so werden auch hier die sowohl europäischen als auch lateinamerikanischen Züge und Einflüsse deutlich.

Die Argentinische Flagge, wie sie im Wind weht.
Quelle: Angelica Reyes on Unsplash

Von Einwanderung über Militärputsch zur Demokratie – Die Geschichte Argentiniens

Die größten Einwanderungswellen erlebte Argentinien bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts aus Italien und Spanien. Das Land blickt zudem auf mehrere Militärdiktaturen zurück, bis im Jahr 1983 der erste demokratisch gewählte Präsident Raúl Alfonsín an die Macht kam und die Redemokratisierung begann. Um die Jahrtausendwende kam es zu einer großen Wirtschaftskrise, die ihre Höhepunkte in der starken Rezession um 1999 und den Zusammenbruch des Finanzsystems in den Jahren 2001/2002 mit sich brachte.

Daraufhin folgte eine Epoche von politischer Instabilität, die sich seit 2005 jedoch wieder beruhigt hat. Die Phasen der Unbeständigkeit und der Militärdiktaturen werden auch in den Erzählformaten stetig thematisiert. So mussten einige Autor:innen in den unsicheren Zeiten ihren Beruf sogar aufgeben oder zumindest aussetzen, da keine Meinungsfreiheit gegeben war und sie sonst Gefahr liefen, festgenommen zu werden.

Von Literatur bis Cartoon – die Magie der Worte und Bilder

Argentinien hat von Jorge Luis Borges bis zu Quino einige prominente Schriftsteller hervorgebracht. Berühmt ist die argentinische Literatur vor allem für ihre poetischen, magischen und metaphorischen Geschichten, die ihre Leser:innen in andere Welten entführen. Sie zählt zu den reichhaltigsten und einflussreichsten Literaturen Lateinamerikas. Der bereits eingangs zitierte Jorge Luis Borges ist beispielsweise bekannt für seine Gedichte und unzähligen fantastischen Erzählungen. Er ist wohl der international berühmteste Autor.

Michael Ende widmete sein Buch „Der Korridor des Borromeo Colmi“ sogar Borges, der unter anderem als Mitbegründer des Magischen Realismus und der lateinamerikanischen Phantastik – ein fiktionales Genre – steht. Neben seinen eigenen Werken schrieb Borges auch für die Zeitschrift Sur, die ihren Fokus auf den kulturellen Austausch zwischen Lateinamerika und Europa legte.

Dass Storytelling nicht nur in Form von Text, sondern auch Bildern möglich ist, machte Quino, der Zeichner der Cartoon-Reihe Mafalda, deutlich. Im spanischsprachigen Teil der Welt ist vermutlich jedes Kind mit den Cartoons des schlauen Mädchens aufgewachsen, das schon im jungen Alter politische, philosophische und gesellschaftliche Fragen stellte und damit sowohl Klein und Groß zum Nachdenken anregte. Die von Quino gezeichneten Comics wurden in über 30 Sprachen übersetzt. Umberto Eco bezeichnete Mafalda als „Heldin unserer Zeit“, und so wurden einige ihrer oftmals altklugen Sprüche zu geläufigen Alltagsweisheiten auf der ganzen Welt.

Die Thematisierung des politischen und gesellschaftlichen Weltgeschehens geht auf die Geschichte von Quino zurück, der kurz vor dem spanischen Bürgerkrieg als Sohn andalusischer Einwander:innen in der argentinischen Stadt Mendoza aufwuchs. Während eines Militärputsches in seiner südamerikanischen Heimat kehrte er zu den Wurzeln seiner Eltern zurück und zog erst nach Italien, dann Spanien. Neben den Asterix und Obelix Comics oder den Lustigen Taschenbüchern sind die Mafalda-Bildgeschichten wohl eine der berühmtesten Storytelling-Formate in Cartoon-Form der Welt. 

Zwei Figuren der Mafalda-Bildgeschichten.
Quelle: Gustavo Sánchez on Unsplash

Tango – eine epische Geschichte in Bewegung

Neben dem Geschichtenerzählen in Text- und Bildform ist in Argentinien der Tango eine der berühmtesten Ausdrucksformen des Storytellings. Denn auch in den Liedern und beim Tanzen werden epische Geschichten voller Leidenschaft, Drama und Intrigen erzählt. Jede Bewegung, jede Pose ist Teil der Geschichte, die unter vollem Körpereinsatz dargeboten werden. Der Tango ist tief mit der Geschichte und Identität Argentiniens verwurzelt und eines der bekanntesten Exportgüter des südamerikanischen Staates.

Auch im Tanz wird wieder der Einfluss der europäischen Einwanderer:innen aus Spanien und Italien deutlich, die den Tango Argentino entwickelten und europäische Elemente mit einheimischen argentinischen verbanden. So begann die Geschichte des Tangos am Río de la Plata, gelegen im südlichen Großraum von Buenos Aires. Hier, wo die verschiedenen Kulturen aufeinandertrafen, entstand aus Elementen des afrikanischen Candombe, der kubanischen Habanera, der osteuropäischen Polka und den deutschen Drehungen des Walzers die Grundform des argentinischen Tangos. Dieser wurde zunächst von den Gauchos, den Landarbeiter:innen Argentiniens, getanzt.

Gauchos werden vorwiegend Nachkommen iberischer (spanischer) Einwander:innen und indigener Menschen genannt, die ihren Lebensunterhalt als Erzeuger:innen in der pastoralen Viehhaltung verdienen. Etwa um das Jahr 1880 begann man um Buenos Aires und Montevideo Tango zu tanzen. Die Musik hierzu entstand aus verschiedenen städtischen Musikrichtungen, gepaart mit den Payadas (Volksmusiktradition) der Gauchos, woraus wiederum die Musikrichtung Milonga entstand, die auf der Gitarre gespielt wird, und zu der improvisierte Lyrik gesungen wird. Sie gilt als fröhliche Schwester des Tangos, da sie etwas leichter und lockerer ist als der langsamere und ernstere, heute bekannte Tango, der erst später daraus entstand und heute auf den Straßen in Buenos Aires getanzt wird.

Ein Paar das Tango tanzt.
Quelle: Marko Zirdum on Pexels

Melodramen und politische Geschichten für die Leinwand

Planet Storytelling Argentinien zeigt, dass der Tango nicht nur als Musik und Tanz von Bedeutung ist, zeigen die Tangofilme aus Buenos Aires, die während der besten Zeit der argentinischen Filmgeschichte produziert und auf der ganzen Welt ausgestrahlt wurden. Schon zuvor, zu Zeiten des Stummfilms, gehörte Argentinien zu den Pionierländern, bevor die Hochphase durch Tonfilme weiter angefeuert wurde. Auch auf diesem Gebiet litten Filmemacher:innen während der Militärregierungen unter Zensur, bis sie sich ab 1983 jedoch wieder frei entfalten und dem Storytelling für die Leinwand nachgehen konnten.

Regisseur:innen wie Fernando Solanas (auch bekannt als Pino Solanas), haben mit ihren Filmen das argentinische Kino geprägt und es zu einer wichtigen Stimme in der Cineasten-Welt erhoben. Solanas Werk „La hora de los hornos“ („Die Stunde der Hochöfen“), der 1968 erschien, gilt als einer der Höhepunkte des lateinamerikanischen Kinos und behandelt die politische Geschichte Argentiniens in drei Teilen. Pino Solanas ist mit seinen sozialkritischen Streifen auch der international bekannteste argentinische Filmemacher und gewann mit „El secreto de sus ojos“ („In ihren Augen“) 2010 einen Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film und 2004 den Goldenen Ehrenbären der Berlinale.

Die argentinischen Filmwerke spiegeln oft die Komplexität der eigenen Geschichte und Gesellschaft wider, die von spanischer Kolonialherrschaft, europäischer Einwanderung und einheimischer Kulturen geprägt wurde.

Argentinisches Geschichten erzählen durch Wort, Schrift, Bild und Ton

Wie wir beim Planet Storytelling Argentinien sehen können, ist das Geschichtenerzählen tief in der argentinischen Kultur verwurzelt. Ob durch Tanz, Film, Musik oder Literatur – die Argentinier und Argentinierinnen haben eine leidenschaftliche Beziehung zu epischen und dramatischen Geschichten, die Emotionen wecken und das Publikum fesseln. Die Kunst des Storytellings ist in Argentinien in jedem Fall stark vertreten und spiegelt die komplexe und faszinierende Geschichte des Landes wider. Geprägt von den unterschiedlichen einheimischen und eingewanderten Kulturen, ist sie so vielfältig wie die Ausdrucksformen, in denen die Geschichten wiedergegeben werden. Ein Land, dass nicht nur aufgrund seiner Größe, sondern eben auch durch seine reichen Kulturschätze besticht und sich darin verlieren lässt sowie uns auf eine spannende Planet Storytelling Reise mitnimmt.

Was das Nachbarland Chile im Hinblick auf Storytelling zu bieten hat, könnt ihr im Beitrag Planet Storytelling Chile nachlesen.



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