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Planet Storytelling: Ägypten
Planet Storytelling 17. November 2023

Planet Storytelling: Ägypten

Selbst in der fernen Vergangenheit des alten Ägyptens war Storytelling eine kraftvolle und bedeutungsvolle Form der Kommunikation. Die Menschen verwendeten Geschichten nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Vermittlung von Wissen, zur Bewahrung ihrer Kultur und zur Verbindung mit ihrer Religion. Diese uralten Erzählungen spiegeln eine faszinierende Welt wider, in der Götter und Held:innen, Moral und Weisheit miteinander verwoben waren.

Durch die Analyse dieser alten Tradition des Storytellings können wir einen Blick in die Vergangenheit werfen und gleichzeitig wertvolle Einsichten gewinnen, die uns die Kraft des Geschichtenerzählens in der heutigen Zeit besser verstehen lassen.

Hieroglyphen und Malereien von Göttern auf Pergament
Quelle: pixabay, Souza DF

Der altägyptische Götterkult

Die alten Ägypter verehrten eine Vielzahl von Göttern, denen über Jahrtausende hinweg wechselnde Funktionen zugeteilt wurden. Dabei war es nicht ungewöhnlich, dass mehrere Gottheiten ähnliche Aufgaben hatten und sich in unterschiedlichen Gestalten zeigten. Zudem hatte jede Region Ägyptens ihre eigenen Ortsgötzen, die eine besondere Rolle in den jeweiligen Gemeinschaften spielten.

Jeder Gott verfügte über einen eigenen Tempel, von dem die Menschen glaubten, dass er dort wohnte. Sie dienten als Orte der Anbetung und Verehrung. Die Darstellung dieser Götzen war vielfältig: meist als Tiere oder als Menschen mit Tierköpfen. Der Sonnengott Ra, oft als Mann mit Falkenkopf abgebildet, war einer der wichtigsten Heiligen in der Mythologie. Die Bevölkerung glaubte, dass Ra den Menschen Licht und Wärme spendete und dass die Sonne jeden Morgen neu geboren wurde, während sie auf ihrem Weg nach Westen alterte, unterging, sich in der Nacht verjüngte und am nächsten Morgen erneut geboren wurde. Dieser Zyklus wurde als Symbol für Tod und Wiedergeburt interpretiert.

Die Göttin Isis hingegen ist menschlich, wurde als Muttergottheit verehrt und war ein Vorbild für Mütter. Sie war auch die Beschützerin der Kinder und sogar die Griechen und Römer beteten sie an. Osiris, ihr Ehemann galt als der Totengott und Herrscher über die Unterwelt.

Die ägyptische Schöpfungsgeschichte war vielfältig und fragmentiert. Sie umfasste verschiedene Vorstellungen von der Entstehung der Welt, die oft von Region zu Region variierten. Den Ursprung des Lebens umschrieb man oft mit der Formulierung „das Erste Mal“, was darauf hinweist, dass die Erschaffung als ein sich wiederholender Zyklus verstanden wurde, um die ideale Ausgangssituation zu schaffen, wie sie zu Beginn der Kreation herrschte.

In diesen Entstehungsmythen wurde der Urgrund oder der Urzustand in verneinender Form beschrieben, wie „als noch nicht war“. Der Status quo also, noch bevor Himmel und Erde getrennt waren und die Welt noch nicht aus der Urfinsternis (Kuk und Kauket) und dem Urwasser oder der Urflut (Nun und Naunet) erschaffen wurde.

Eine weit verbreitete Geschichte nennt den Urvogel Benu, der den Ursprung der Welt in sich trug. Aus dem Ei des Tiers schlüpfte die Sonne, der Sonnengott Ra, der später mit Amun zu Amun-Re verschmolz.

Die Kinder von Amun-Re heißen Schu und Tefnut (Luft und Wasser), die Geb und Nut (Erde und Himmel) zeugten. Dieser Erschaffungssmythos ist allerdings nicht einheitlich und kontinuierlich. Stattdessen gibt es verschiedene und sehr unterschiedliche Varianten dieser Erzählung.

Ein Segelboot auf dem Nil
Quelle: pixabay, Peggychucair

Die Verbindung zum Nil

Der Nil, der sich inmitten lebensfeindlicher Wüsten erstreckt, schuf über einen Zeitraum von rund 5000 Jahren eine der größten Flussoasen der Erde. Diese atemberaubende Schöpfung hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Herausbildung der Hochkultur des alten Ägyptens, die um etwa 3000 v. Chr. erblühte.

Seine Bedeutung für die Bevölkerung kann dabei nicht hoch genug geschätzt werden. Dieser majestätische Fluss diente nicht nur als lebenswichtige Wasserquelle, sondern ernährte das Land und war die wichtigste Verkehrsader für Handel und Kommunikation.

Die Menschen betrachteten das Gewässer als etwas Göttliches und der Flussgott Hapi galt als die Personifizierung des Nils. Die jährliche Flut wurde als ein Zeichen für die Gnade der Götter interpretiert und als Symbol für Wohlstand und Fruchtbarkeit angesehen. Die Ägypter glaubten fest daran, dass die Götter den Nil kontrollierten, und sie durch rituelle Verehrung und Opfergaben deren Gunst erhalten konnten. Laut ihnen entsprang er dem Ur-Ozean Nun, und nach seinem jährlichen Anschwellen floss er auch wieder dorthin zurück, was den Fluss mit einem tieferen kosmischen Zusammenhang verband und seinen Stellenwert als göttliche Schöpfung unterstrich.

Die Bedeutung des Nils spiegelte sich in zahlreichen ägyptischen Mythen und Geschichten wider. Die Jahreszyklen der Flut und des Rückgangs spielten in vielen dieser Erzählungen eine wichtige Rolle. Ein herausragendes Beispiel ist die Geschichte von Osiris Tod und Wiedergeburt, die eng mit dem Zyklus des Gewässers verknüpft ist, da der Fluss einst seiner Leiche entsprang. Sein Sternbild, heute Orion genannt, ist durch sein Bein mit der Konstellation Eridanus verbunden, welches den „Himmlischen Nil“ repräsentiert. Wenn jährlich dieses Sternbild im Süden untergeht, steigt die Flut an und so glaubte man, dass der Strom dem Bein des Osiris entspringt.

Die tiefe Verehrung und Abhängigkeit der Menschen von diesem Fluss spiegeln sich nicht nur in ihren religiösen Überzeugungen, sondern auch in ihrer kulturellen Identität und ihrem Storytelling wider. Die Wasserstraße war nicht nur eine physische Lebensader, sondern auch eine inspirierende Quelle für Geschichten, Mythen und Kunst, die die Geschichte und Traditionen des alten Ägyptens lebendig hielten.

Die Bedeutung der Hieroglyphen für das Storytelling

Die Hieroglyphen, die für die alten Ägypter als Gottesworte galten, haben eine faszinierende Geschichte. Der heutige Begriff „Hieroglyphen“ entstammt dem Griechischen und bedeutet „heilige Vertiefungen“, was auf ihren religiösen Zweck hinweist. Diese Schriftzeichen wurden vor allem im kultischen Rahmen verwendet und dienten als Schmuckschrift. Wenn es darum ging, schnell etwas festzuhalten, griffen die Schreiber allerdings nicht zu den Runen, sondern nutzten die hieratische Schrift, eine kursive Schreibschrift.

Die Hieroglyphen hatten jedoch nicht nur eine funktionale Rolle in der Kommunikation, sondern auch eine heilige und magische Bedeutung.

Die ägyptische Mythologie schreibt die Erfindung der Schrift dem Gott Thot zu, der als derjenige gilt, der „das Schreiben am Anfang erfand.“ Sein Stellenwert in der Kultur als Begründer des Schreibens und der Bildung unterstreicht die Hochachtung, die die Ägypter der Kunst der Schrift allgemein entgegenbrachten.

Die alten Ägypter glaubten außerdem, dass man das Leben eines Menschen auslöschen konnte, indem man seinen Namen beseitigte. Dies führte dazu, dass die Namenszüge von Hatschepsut, der ersten weiblichen Pharaonin, später aus nahezu allen Tempeln entfernt wurden. Ihr Totentempel wurde sogar komplett zerstört. Archäolog:innen konnten jedoch ihren Namen in den obersten Winkeln einiger Säulen wiederfinden. Dieser Versuch, ihre Erinnerung auszuradieren, wurde von ihrem Stiefsohn unternommen, nachdem sie verstorben war, da sie ihm den Titel des Pharaos gestohlen hatte.

Die Erfindung der Schrift war entscheidend für die Entwicklung eines Staatswesens von der Größe des alten Ägyptens. Schreiber nahmen eine herausragende Stellung in der Gesellschaft ein, da sie das Wissen und die Kommunikation innerhalb des Reiches aufrechterhielten. Nur etwa 1 bis 5 Prozent der Bevölkerung vermochten zu schreiben, was es zu einer hochspezialisierten Fähigkeit machte.

Leider kann die genaue Aussprache der Hieroglyphen nicht mehr ermittelt werden, da die Schrift keine Vokale nutzte – sie wurden einfach nicht mitgeschrieben. Die Texte bestanden lediglich aus einer Aneinanderreihung von Konsonanten. Aktuell gibt es nur Hinweise darauf, wie die Ägypter zur Zeit der Pharaonen wohl gesprochen haben.

Die Rolle der Geschichtenerzähler:innen

Im alten Ägypten hatten die sogenannten Seshta, was Schreiber oder Leser bedeutet, eine besondere und respektierte gesellschaftliche Stellung. Sie spielten als Lehrer und Unterhalter eine wichtige Rolle in der Kultur und Gesellschaft. Von ihren Gemeinden wurden sie geschätzt und respektiert. Oft unterrichteten sie junge Menschen in der Kunst des Storytellings und brachten ihnen die Geschichten der Götter, Helden und historischen Ereignisse nahe.

Am ägyptischen Hof gab es oft professionelle Erzählkünstler, die für Pharaonen und hohe Beamte arbeiteten. Dort entlohnte man sie dafür Märchen, Gedichte und Lobpreisungen vorzutragen, um die Gunst des Herrschers zu gewinnen. Dies machte sie zu wichtigen Figuren im höfischen Umfeld und zu Bewahrern der ägyptischen Kultur und Traditionen.

Das Storytelling des alten Ägyptens war also mehr als nur eine Unterhaltungsform, sondern das Herzstück ihrer Zivilisation, ihrer Religion und ihres Wissens. Diese Geschichten über Götter und Held:innen, über Moral und Weisheit, haben nicht nur die Gesellschaft geprägt, sondern auch dazu beigetragen, ihre Identität zu formen und ihre Werte zu bewahren. Die Lehren aus dem ägyptischen Raum zeigen uns, dass Geschichtenerzählen eine mächtige Methode ist, um Wissen weiterzugeben, Werte zu vermitteln und Gemeinschaften zu stärken.

Auch in einer Welt, die von moderner Technologie und Kommunikation geprägt ist, bleibt das Storytelling eine grundlegende menschliche Fähigkeit, die uns verbindet, inspiriert und uns die Möglichkeit gibt, unsere Geschichte und unsere Kultur zu bewahren.

Auch in der argentinischen Kultur ist das Geschichtenerzählen tief verwurzelt. Mehr dazu erfahrt ihr in unserem Blogpost.



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