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Social Media in der Politik: Storytelling als Erfolgsformel
Communications – PR, Content, Redaktion Politik, NGOs & Kultur 6. November 2023

Social Media in der Politik: Storytelling als Erfolgsformel

„Wer den Schaden hat… Bin gespannt auf die Memes.“ Welcher deutsche Politiker startete mit dieser Caption einen deutschlandweiten Call to Action und bewies gleichzeitig einen gewissen Sinn für selbstironischen Humor? Richtig, unser Bundes-Olaf. Die User-Reaktionen ließen selbstverständlich nicht lange auf sich warten. fritz Kola antwortete „Bitte nur handelsübliche Flaschenöffner nutzen. Kann sonst ins Auge gehen.“. Auch kleinanzeigen parodierte „Leichte Gebrauchsspuren“. Mit dem Bild heimste der gestürzte Freizeit-Jogger sicherlich den ein oder anderen Sympathiepunkt bei seinen Followern ein.

Vor allem aber verdeutlichte der Instagram-Post des Kanzlers, dass sich die Kommunikation zwischen Regierungsvertreter:innen und der Gesellschaft verändert hat. Es sind nicht mehr nur die Jetsetter und Fashion-Blogger:innen, die Social Media zur Stärkung ihrer Personal Brand nutzen, sondern eben auch Politiker:innen. Dabei können sie, genau wie jede:r andere Content Creator, verschiedene Rollen einnehmen, um ihre Positionierung zu verdeutlichen und potenzielle Wähler:innen von sich zu begeistern. Welche Ansätze Annalena Baerbock, Volodymyr Zelenskyj und Markus Söder auf den verschiedenen Kanälen verfolgen, haben wir uns genauer angeschaut.

Die SUCCESs-Formel als Basis politischer Social Media-Kommunikation

Was Martin Luther King oder John F. Kennedy in ihren Reden schafften, müssen Anführer:innen heute auf die digitalen Kanäle transferieren, um ihre Wählerschaft zu erreichen. Dabei haben eben genannte Größen und heutige Oberhäupter eines gemeinsam: Erfolgreiche Kommunikation gelingt auf Basis der SUCCESs-Formel.

  • Simple (Einfach): Die Nachricht muss klar und verständlich sein, ohne komplizierte Fachbegriffe oder lange Erklärungen.
  • Unexpected (Unerwartet): Eine überraschende Wendung oder ein unerwartetes Element in der Botschaft erhöht die Aufmerksamkeit.
  • Credible (Glaubwürdig): Die Message sollte glaubwürdig sein und auf vertrauenswürdigen Quellen oder Erfahrungen basieren.
  • Concrete (Konkret): Abstrakte Konzepte sollten in konkrete Beispiele oder Fakten übersetzt werden, um die Inhalte greifbar zu machen.
  • Emotional (Emotional): Eine emotionale Verbindung zum Publikum kann der Botschaft zu nachhaltiger Wirkung verhelfen.
  • Story (Geschichte): Geschichten machen die vermittelten Informationen erst erlebbar und ziehen die Leserschaft in das Geschehen.

Damit ist die SUCCESs-Formel eine wichtige Voraussetzung, die Regierungsvertreter:innen verinnerlicht haben sollten, damit Leser:innen den größtmöglichen Mehrwert aus ihrem Follower-Sein ziehen. Wieso das wichtig ist? Weil sich in den sozialen Medien Meinungen bilden, das kennen wir aus Bewegungen wie beispielsweise Fridays For Future, Black Lives Matter oder auch Jina Mahsa Aminis Schicksal. Dieses Phänomen lässt sich auf Landtags- oder Bundestagswahlen übertragen und prägt unseren Blick auf verschiedene Akteur:innen. Doch nutzen die Politiker:innen unseres Landes und anderer Nationen die SUCCESs-Formel wirklich in den sozialen Medien?

Annalena Baerbock: Die politische X-pertin

Seit Dezember 2021 ist die 42-Jährige deutsche Bundesministerin des Auswärtigen Amtes – und das als erste Frau auf dieser Position. Besonders aktiv ist Baerbock auf Twitter/X (mehr als 621.000 Follower) und Instagram (mehr als 570.000 Follower), auf Facebook werden vorwiegend ihre Instagram-Posts veröffentlicht.

Baerbock auf Instagram: Simple, aber auch Concrete?

Annalena Baerbock teilt überwiegend Fotos auf Instagram, Videos sind nur vereinzelt zu finden. Ob berufliche Auslandsreise, deutsche und internationale Feiertage oder Treffen mit politischen Persönlichkeiten, nur selten werden Captions auch auf Englisch formuliert. Was besonders auffällt, ist die Länge der Texte: Meist sind die Bildunterschriften in mehrere Absätze unterteilt. In Bezug auf die Übersichtlichkeit kann behauptet werden, dass diese Aufmachung „simple“ ist, aber kann eine solche Textlänge wirklich „concrete“ sein?

Ebenso einfach ist die Wortwahl der Außenministerin, die den Aspekt des Konkreten wieder etwas relativiert und damit die Inhalte greifbarer machen. Genauso integriert sie Story-Elemente sowohl in ihre Captions als auch ihre Reden. Zum Beispiel knüpft sie Verbindungen zu bekannten US-amerikanischen Personen, bevor sie auf das eigentliche Thema eingeht.

Außerdem teilt Annalena Baerbock viele Hintergrundinformationen zu ihren Aktivitäten in den Highlight-Stories. Fast immer mit Textblöcken geschmückt, können sich die Follower hier eingehender mit dem befassen, welche Punkte die Politikerin auf der Agenda hat. Diese entsprechen darüber hinaus ihrer Expertise und verleihen ihren Inhalten die notwendige Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig stellt man sich aber auch die Frage, weshalb beispielsweise das Thema „Sport“ derart präsent bei der Bundesministerin des Auswärtigen Amtes ist und wird teilweise überrascht von Reels, in denen sie Fragen der Community beantwortet – und, ganz dem Anspruch des Unerwarteten und der Story folgend, die ein oder andere persönliche Meinung teilt.

Baerbock auf X: Politische Botschaften an eine spezielle Leserschaft

Auf X vertritt die gebürtige Hannoveranerin ausschließlich politische Interessen. Hier formuliert sie Stellungnahmen in kurzen, klaren Botschaften und positioniert sich eindeutig zu Themen wie beispielsweise dem G20-Gipfel oder auch dem Ukraine-Krieg. Die Grünen-Politikerin richtet sich gezielt an ein spezifischeres Publikum, worauf Hashtags wie #COP28 und Begriffe à la „OffshoreEnergie“ schon hinweisen – derartige Wortwahl ist nämlich auf dem Instagram-Account nicht zu finden. Das verleiht der Regierungsvertreterin Seriosität: Sie tritt glaubwürdig auf, behandelt „Kernthemen“ einer Außenministerin, formuliert konkret und – für die politisch bewanderte Leserschaft – einfach. Bei Bedarf verfasst sie Tweets auch auf Englisch oder Französisch.

Rein politisch gesehen ist für Baerbock also vor allem Twitter/X relevant. Hier äußert sie konkrete politische Positionierungen in aussagekräftiger Kurzform. Auf Instagram hingegen wirkt Baerbock nahbarer, nutzt einfachere Sprache und behandelt Themen, die über ihre Tätigkeiten als Außenministerin hinausgehen. Es ist schnell ersichtlich, dass Instagram das Mittel der Wahl ist, um die allgemeine Bevölkerung auf dem Laufenden zu halten und auch, von sich zu überzeugen.

Volodymyr Zelenskyj: Kanal? Egal

Als ehemaliger Schauspieler verfügte der heutige ukrainische Präsident sicherlich schon seit einiger Zeit über eine beträchtliche Followerschaft. Doch mit dem Angriffskrieg von Russland im Februar 2022 richteten sich alle Augen auf die Social-Media-Profile von Zelenskyj. Jede:r hat mindestens ein Video oder Bild des Regierungsoberhauptes im Kopf, in Armee-Kleidung durch Kiews Straßen laufend oder am Schützengraben stehend, mit Augenringen, unrasiert und völlig übermüdet. Auch jetzt noch, eineinhalb Jahre nach dem Einmarsch, teilt der Ukrainer auf Facebook, X und Instagram tagtäglich Einblicke in die Zustände seines Landes.

Während Facebook in Deutschland nur noch eine geringe Rolle spielt, ist die Plattform in der Ukraine weiterhin ein wichtiges Kommunikationsmittel. Mehr als 3 Millionen Menschen verfolgen hier die Beiträge des Präsidenten. Doch der X-Account und das Instagram-Profil können noch höhere Zahlen aufweisen: 7,3 Millionen und 16,9 Millionen Abonnent:innen finden sich auf den jeweiligen Kanälen.

Zelenskyj bespielt jedes Netzwerk gleichermaßen: Seine Profile sind ein Mix aus professionell gestalteten Videos, Fotos und Aufnahmen, bei denen er sich selbst filmt. Vorwiegend formuliert der Ukrainer seine Botschaften in der Landessprache, Untertitel oder Captions werden zudem auf Englisch festgehalten. Das vereinfacht seine Kommunikation und die Inhalte lassen sich über die nationalen Grenzen hinaus verbreiten. Der Präsident postet mehrmals am Tag, nimmt immer Bezug zur Kriegslage, spricht den Verteidiger:innen seinen Dank aus und ruft zum Aktionismus auf. Seine Wortwahl ist simple und concrete, seine Botschaft eindeutig und die Themen, die er anspricht, sind glaubwürdig.

Besondere Glaubwürdigkeit verleihen ihm auch seine Outfits, mit denen sich der Präsident deutlich von anderen Staatsoberhäuptern abhebt. Statt Anzug und Lackschuhen präsentiert sich Zelenskyj in armeefarbenen Shirts, auf denen beispielsweise „I’m Ukrainian“ geschrieben steht oder der Dreizack der ukrainischen Nationalflagge prangt. Mit diesem nicht unwichtigen Detail sendet der Präsident eine klare emotionale Botschaft aus, die kein Follower fehlinterpretieren kann: „Wir befinden uns noch immer im Kampf, ich bin allzeit bereit.“

Die Updates über die aktuelle Lage in der Ukraine erzählen nicht nur die momentane Geschichte des Landes, die durch die mediale Berichterstattung weiterhin präsent ist, sondern gibt den Lesenden auch Hintergrundinformationen. Damit bedient Zelenskyj das Element des Unerwarteten. Auf Instagram beispielsweise finden sich darüber hinaus Videos, die gewisse Umstände genauer erklären.

Wichtig zu betonen ist, dass der ukrainische Präsident die sozialen Medien unter ganz anderen Bedingungen nutzt, als es beispielsweise die deutsche Außenministerin tut. Vor dem Einmarsch Russlands ist auch Zelenskyj ein klassischer Anzugträger gewesen. Allein die Veränderung seines Erscheinungsbildes sendet aber auf jedem Kanal eine klare Message und soll die restliche Gesellschaft an die andauernden Zustände in der Ukraine erinnern. Ob Facebook, X oder Instagram – Zelenskyj nutzt die sozialen Medien zur Informationsverbreitung: An das eigene Volk, Medienvertreter:innen und internationale Bevölkerung. Dabei folgen auch seine Textnachrichten dem Prinzip der SUCCESs-Formel. Sie sind einfach, unerwartet, glaubhaft, konkret, emotional geladen und erzählen durchweg die Story der nationalen Lage.

Sonderfall CSU-Söder: Mit TikTok zum kultigen Politiker

Generell ist Markus Thomas Theodor Söder keine graue Maus auf den sozialen Plattformen. Der 56-jährige Ministerpräsident Bayerns nutzt X (rund 420.000 Follower) genau wie Baerbock für die Verbreitung politischer Statements, fokussiert sich aber schon seit einiger Zeit stärker auf Instagram (380.000 Follower).

Es wird schnell ersichtlich, dass der CSU-Politiker auf das Absahnen von Sympathiepunkten aus ist: Eigenständig entwickelte Hashtags wie #SöderIsst, Selfie-Videos vom Radfahren und Bilder mit seiner Ehefrau vermitteln da eine deutlich emotionale und zugleich sehr unterhaltende Sprache. Söder wird in diesem Sinn bereits dem unerwarteten Aspekt sowie dem der Emotionen mehr als gerecht. Zwischen diesen vermeintlich komischen Bildern finden sich immer wieder plakative Posts mit klaren Stellungnahmen, die simple, concrete und credible sind. Söder wirkt authentisch auf Instagram, sei es die politische Positionierung oder das nächste Bockwurst-Foto. Aber den Vogel schießt der Politiker auf TikTok ab.

Die CSU ist nicht die einzige Partei mit einem TikTok-Account – aber wohl die Einzige, die ihren „Vorzeige-Politiker“ derart zur Entertainment-Figur modelliert. Der bayerische Ministerpräsident präsentiert sich in Live Streams, beantwortet dort Fragen aus der Community und erzählt auch frei aus seinem Privatleben. Unexpected ist wohl noch eine untertriebene Formulierung, wenn man daran denkt, dass die CSU eine stark konservative Partei ist und nun derart präsent auf der Plattform agiert.

@csuauftiktok Heute um 13 Uhr Tik Tok Live! Seid dabei und stellt eure Fragen an #markussöder 👏 #csu #politik #qanda #live ♬ Originalton – CSU

Söder spricht auf TikTok intensiv Themen an, die insbesondere jüngere Zielgruppen betreffen, beispielsweise das deutsche Schulsystem und generelle Bildungsmöglichkeiten. Auf diese Weise schaffen die christlichen Konservativen eine emotionale Bindung zu ihrem TikTok-Publikum, was auch die Kommentarspalte widerspiegelt: User schreiben beispielsweise „Er ist übelst sympathisch“ oder „Du bist einfach der beste Politiker“.

Keine andere Partei instrumentalisiert ihre:n Vorsitzende:n so sehr, wie es die Konservativen aus Bayern tun – sie verhelfen so Markus Söder, der sich bereits auf Instagram mit amüsanten Outfit-Bildern und eigenen Hashtag-Kreationen eigenständig auf Position begeben hat, zum kultigen Politiker-Image. Und die Kommentarspalte auf TikTok gibt dem Vorgehen der CSU recht! Doch ob der Bayern-Patriot gegen das menschgewordene Piraten-Meme Olaf Scholz auch im Kampf um den Kanzlerposten bestehen kann, sehen wir wohl in ein paar Jahren. Vielleicht hat bis dahin auch Bundespräsident Steinmeier seinen eigenen TikTok-Account – oder die FDP hat ins Metaverse investiert.




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