Gegen das Vergessen: Storytelling in der Gedenkarbeit
Der Besuch einer KZ-Gedenkstätte sollte für Schüler:innen Pflicht sein, äußerte sich Bundesbildungsministerin Karin Prien: „Erinnerungsorte und die Beschäftigung mit Einzelschicksalen vermitteln Empathie.” Ihre Forderung löste eine Debatte aus, ob das wirklich zielführend sein. In einer Zeit, in der gleichzeitig sämtliche Statistiken über Rechtsextremismus auch die letzten Alarmglocken klingeln lassen sollten, schreit der andere Teil der Gesellschaft laut: Nie wieder ist jetzt. Wie passt das zusammen? Ein guter Grund, sich zu fragen: Wie müssen wir Gedenkarbeit gestalten, damit die Message nicht nur in den Köpfen der Menschen ankommt, sondern auch in ihren Herzen? Erinnern wir uns richtig? Wie stärken wir unsere Demokratie durch Gedenkarbeit? Und wie können Storytelling-Formate dazu beitragen?

Was darf Gedenkarbeit?
Derviş Hızarcı von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus hat es bei Wissen Unplugged treffend formuliert: „Wenn unser Ziel eine durch Gemeinschaft geprägte Gesellschaft ist, müssen wir auch Gedenkarbeit inklusiv denken und die Menschen da abholen, wo sie stehen. Das darf nicht nur kreativ sein. Es darf sogar irritierend und erstmal unbequem sein.“
Gedenken auf Social Media
Dem schließt sich die Autorin und Content Creatorin Susanne Siegert an. Sie betreibt den Kanal keine.erinnerungskultur auf Instagram und TikTok und fährt den Ansatz: Seriosität braucht keine Schwere. Bei ihr darf auch schonmal eine TrashTV-Szene Aufhänger für die Aufklärung über nationalsozialistisch geprägte Sprache sein. Asozial? Streichen wir lieber aus unserem Gebrauch.
Social Media Redakteur:innen vom BR und SWR ließen Sophie Scholl zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2021 wieder auferstehen. Für das Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl simulierte eine Schauspielerin das Leben der bekannten NS-Widerstandskämpferin in Echtzeit – als hätte die historische Person Sophie Scholl über ein Smartphone verfügt, das uns Bilder in die Gegenwart sendet.
Stolpersteine multimedial
Nicht nur im digitalen Raum funktioniert Gedenkarbeit. Die meisten stolpern täglich über eines der kreativsten Projekte für die Erinnerung – wortwörtlich: Stolpersteine. Mit wenigen Worten auf knapp 10×10 cm erzählen sie eine ganze Geschichte. Berlin hat sie zusätzlich digitalisiert und zeigt akkurat, wer von wo verschleppt wurde und welche Geschichte die Menschen erlebt haben. Auch München verbindet Geschichten mit geografischen Karten. Das bereits 2008 bestehende virtuelle Denkmal Memory Loops nutzt historische und aktuelle Originaltöne von NS-Opfern und Zeitzeugen. Eingebettet in die Online-Karte kontextualisiert es die Geschichte der Stadt.
Crowdsourcing als Gedenken: Gemeinsam Geschichte(n) digitalisieren
Dass Erinnerung auch kollaborativ funktioniert, zeigt das Projekt #everynamecounts der Arolsen Archives. Sie rufen die breite Masse dazu auf, Dokumente aus NS-Zeit zu digitalisieren und damit Namen und Biografien sichtbar zu machen. Ladebalken auf der Website skizzieren den Fortschritt und eine Landkarte mit Pins sorgt für ein Gefühl der Zugehörigkeit, weil sie zeigt: Von all diesen Orten aus arbeiten wir gemeinsam am gleichen Ziel.
Storytelling als Puzzle-Teil
Kreative Wege, Gedenkarbeit zu leisten, werden nicht erst seit gestern gegangen. Die Technik hat sich enorm weiterentwickelt, damit auch die Möglichkeiten – aber auch die Herausforderungen. Céline Wendelgaß von der Bildungsstätte Anne Frank hat den Diskurs passend eingeordnet:
“Innovative digitale Projekte in der historischen Bildung sind wichtig; sie sind jedoch auch oft inhaltlich angreifbar. [… Es braucht] entsprechende Formate [für] eine inhaltliche Rahmung und Einordnung, um Jugendliche mit geschichtsverzerrenden Narrativen nicht allein stehen zu lassen. Sonst bleibt die eigentliche Frage, wie es zum Nationalsozialismus kommen konnte und welche Motivationen damals Personen für ihr Handeln hatten, unbeantwortet.”
Kreativ eingesetzt, ist Storytelling ein nützliches Handwerk, um am Gedenken zu arbeiten und Herzen zu erreichen. Es ersetzt aber kein durchdachtes pädagogisches Konzept und eine kontinuierliche Evaluation des Bildungserfolgs.
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30. Juni 2025