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Storytelling im Wahlkampf: Die Kampagne der Grünen – Kurt Georg Dieckert
Brands Politik, NGOs & Kultur 19. August 2021

Storytelling im Wahlkampf: Die Kampagne der Grünen – Kurt Georg Dieckert

Storytelling Gruenen Kurt Georg Dieckert - Storytelling im Wahlkampf: Die Kampagne der Grünen – Kurt Georg Dieckert

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Miriam: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts Praxis Talk: Brand Storytelling und es wird politisch. Wir starten langsam, auch nach der Sommerpause, jeder von uns als Wähler und Wählerin in den Wahlkampf. Das haben wir uns zum Anlass genommen, auch mal das ganze Thema Wahlkampagnen und Wahlkampf aus Storytelling- und Branding-Perspektive zu beleuchten. Daher freuen wir uns, heute mit Kurt Georg Dieckert sprechen zu können. Er ist der kreative Kopf der Wahlkampagne der Grünen und Mitglied der Agentur Neues Tor 1. Herzlich willkommen erstmal, Kurt.

Kurt: Hallo!

Miriam: Schön, dass du dabei bist und uns heute ein paar Einblicke geben kannst, wie ihr an die aktuelle Wahlkampagne rangegangen seid. Auch, was ihr schon für Learnings aus früheren Kampagnen mitgenommen habt und was uns da noch so erwarten wird. Vielleicht kannst du erst mal ein paar Worte zu dir sagen, damit unsere Hörer:innen etwas mehr über dich, deine Arbeit, deine Agentur erfahren und vielleicht auch schon mal dazu überleiten, wie ihr jetzt gerade mit den Grünen zusammenarbeitet.

Kurt: Erstmal vielen Dank! Das ist natürlich ein sehr interessantes Thema und wie man auch schon ahnen kann, auch ein hoch emotionales Thema, weil es natürlich jeden persönlich angeht, wie diese Wahl ausgeht. Wie sind wir zu der Wahlkommunikation gekommen? 2016 haben wir die Grünen hier in den Wahlkampf in Berlin begleitet und das war zumindest so erfolgreich, dass sie in der Regierung sitzen. Interessanterweise machen wir gerade parallel zur Bundestagswahl auch die Kampagne für die Grünen Berlin zur Landtagswahl.

Wir haben 2017 die Europawahl für die Grünen auf der Bundesebene gemacht. Das war, glaube ich, auf Bundesebene die erfolgreichste Kampagne, die die Grünen je gemacht hatten. Das war natürlich eine große und auch sehr positive Erfahrung. Danach sind wir wieder auf eine Landtagsebene gekommen und zwar mit den Grünen in Thüringen. Über den Ausgang möchte ich jetzt nicht unbedingt sprechen – der war weniger erfolgreich und erfreulich. Aber jetzt haben wir zwei Mandate, einmal die Bundestagswahl und die Grünen Berlin. Das ist schon eine sehr große, sehr interessante und man kann sich auch vorstellen, eine sehr zeitintensive Aufgabe.

Neues Tor 1: Das All-Star-Team für die Wahlkampagne der Grünen

Miriam: Ja, das kann ich mir wirklich vorstellen, dass wahrscheinlich gerade nicht sehr viel Zeit für dich bleibt, den Sommer zu genießen oder die Corona-Lockerungen. Lass uns mal ein bisschen tiefer einsteigen, was jetzt gerade so deinen Arbeitsalltag ausmacht. Das eine besondere ist schon mal die ganze Agentur-Konstellation. Vielleicht kannst du uns da auch nochmal ein bisschen einführen. Ihr habt euch quasi direkt bei den Grünen eingenistet und es wurde eine Agentur speziell dafür gegründet. Habe ich das richtig verstanden?

Kurt: Das ist eigentlich eine ganz, ganz schlaue Geschichte gewesen von Michael Kellner, dem Bundesgeschäftsführer der Grünen. Der hat die Idee gehabt zu sagen: ‚Warum soll ich mit einer Agentur zusammenarbeiten, die gut ist und die vielleicht so eine Kernkompetenz hat? Warum mache ich das nicht so: Warum baue ich nicht ein Allstar-Team auf?‘ In der Vergangenheit haben die Grünen mit mehreren Agenturen gearbeitet. Die haben dann festgestellt: Da gibt es Leute, die sind in der Kreation sehr stark. Da gibt es Leute, die sind in der Strategie sehr stark. Da gibt es Leute, die sind im Digitalen sehr stark. Da hat er sich gedacht: Na gut, dann machen wir es doch einfach mal so: Dann frage ich die Einzel-Player, ob die sich nicht zusammentun können für eine sogenannte Pop-up-Agentur.“ Und dann ist Neues Tor 1 entstanden.

Neues Tor 1 wird maßgeblich geführt von Matthias Riegel. Der ist Stratege, kommt eigentlich von der Agentur Wigwam. Er ist sehr, sehr nahe dran an Annalena Baerbock und auch an Robert Habeck. Schon über Jahre betreut er sie strategisch. Und dann hat er gesagt: ‚Kurt, hast du nicht Lust, die Kreation zu machen? Ihr habt so einen wunderbaren Wahlkampf für die Europawahl gemacht und bewiesen, dass ihr das ganz gut könnt. Tut euch doch bitte zusammen.‘ Dann gab es noch eine Social-Media-Expertise oder sagen wir mal: Digital-Expertise von der Agentur ‚Ressourcenmangel‘, davon sind auch einige Leute im Team dabei. Das ist eine ganz interessante Sache. Ja, wir sind relativ nah am Kunden, aber wir haben doch unsere eigenen Räume und coronabedingt natürlich auch sehr viel remote gearbeitet in der Entwicklung der Kampagnen.

Miriam: Das wäre auch meine Frage gewesen. Dieses Agenturmodell gibt’s ja nicht nur im politischen Wahlkampf, sondern auch häufiger von Unternehmen, die dann Agenturen aus dem Unternehmen heraus gründen. Wie ist das so für dich? Du sagst, auf der einen Seite ist man sehr nah dran, aber ich persönlich denke mir manchmal auch, man braucht ja gerade als Berater:in auch ein bisschen Distanz. Einen anderen Blickwinkel oder auch mal andere Menschen um sich herum, um vielleicht gewisse blinde Flecken aufzudecken. Die sieht man, wenn man immer mit dem gleichen Team direkt am Kunden arbeitet, manchmal gar nicht. Wie stellt ihr sicher, dass ihr da genau die kritischen Berater bleiben könnt, wenn ihr so nah am Thema seid, wahrscheinlich auch emotional sehr involviert seid?

Kurt: Ich glaube, wir sind immer noch weit genug entfernt und ich glaube, das muss man auch sein. Man muss erstmal die Grundeinstellung haben, dass wir einfach keine Politiker:innen sind. Und die Politiker:innen, mit denen wir zu tun haben, sind keine Kommunikationsfachleute. Dieses Selbstverständnis muss man haben, zu sagen: ‚Der kann das und der kann das.‘ Ich würde ja auch nicht meinem Automechaniker sagen: „Guck mal hier, da musst du die Kupplungsmuffe rausnehmen.“ Vermutlich ist es nicht die Kupplungsmuffe, sondern irgendwas anderes, was vielleicht kaputt ist. Das heißt, wir reden da gar nicht rein. Natürlich hat der Matthias Riegel als strategischer Berater eine größere Nähe zu den Playern auf der anderen Seite. Wir in der Kreation haben das gar nicht.

Das heißt, so und so können wir eigentlich aus der Distanz heraus auch sicherlich eine externe Sicht behalten, die ich für sehr wichtig halte. Ich halte es für gar nicht so toll, dass man sich zusammensetzt und gemeinsam irgendwelche Kampagne oder gemeinsame Dinge entwickelt. Es ist immer ein Angebot. Wir kriegen eine Aufgabe. Wir betrachten die Aufgabe sehr kritisch, natürlich auch unter strategischen Gesichtspunkten. Wir geben eine strategische Empfehlung ab und darauf bauen wir die Kreation. Die präsentieren wir, bekommen Feedback und dann wird natürlich gemeinsam an einer Kampagne gearbeitet. Aber es ist immer ein Angebot und eine Reaktion. Ich glaube, auf diese Art muss man auch zusammenarbeiten. Das heißt, diese Distanz, die du eben angesprochen hast, die muss da sein, damit du frei bist in deinem Kopf, wenn du dir etwas ausdenkst und entwickelst.

Wahlslogan der Grünen: Bereit, weil Ihr es seid!

Miriam: Lass uns über die Kreation sprechen, wie ihr da herangegangen seid, um jetzt zu eurem Claim und eurer Bildsprache zu kommen, die die erste Stufe der Wahlkampagne für euch ausmachen. ‚Bereit, weil Ihr es seid!‘, ist ein ganz zentraler Spruch. Ich will dich jetzt nicht bitten, die Kampagnen der anderen Parteien zu bewerten. Aber ich teile mal ein bisschen meine ganz subjektive Einschätzung: Ich habe mir nochmal kurz vorab angeschaut, womit denn die SPD und die CDU, das sind ja so die größten Parteien, die jetzt auch im Rampenlicht stehen, ihren Wahlkampf anführen.

Bei der SPD ist es ‚Scholz packt das an‘ und bei der CDU ‚Deutschland gemeinsam machen‘. Was mir bei euch besonders gut gefällt, weil ich, egal wofür ich wählen würde, halt Storytelling wähle, ist der Ansatz, dass erstmal ganz andere Held:innen im Vordergrund stehen. Ihr, das sind nicht die Grünen, das ist nicht Annalena Baerbock, sondern das sind die Wähler:innen oder auch die Bevölkerung im weitesten Sinne, wenn man es objektiv sehen möchte. Das ist bestimmt ein ganz bewusster Prozess. Kannst du uns da vielleicht ein bisschen mit auf die Reise nehmen, wie ihr dahin gekommen seid, diesen Ansatz zu wählen und was ihr damit auch emotional bewirken wollt?

Kurt: Du hast das absolut richtig erkannt, dass beruht auf einem Insight. Vielleicht muss man so anfangen, dass man sagt, wenn wir Werbung für Parteien machen, dann machen wir das wie für Marken. Man muss sich überlegen: Was für ein Angebot hat diese Marke für den Markt? Diesmal besteht der Markt aus den Menschen, die wählen. Natürlich ist das auch geprägt von rationalen Entscheidungen. Aber man würde jetzt nicht zu Stiftung Warentest gehen und einen Parteienvergleich angehen. Es ist immer auch eine starke emotionale Komponente, die da eine Rolle spielt. Also: Wie soll die Zukunft, wie soll mein Land nach diesen vier Jahren aussehen? Ist das richtungsweisend? Ist es ein Neuanfang und so weiter und sofort.

Wir haben uns überlegt, man kann jetzt sowas machen, wie die anderen Parteien, dass man sagt, der steht für das und das steht für dieses. Wir haben etwas ganz anderes gemacht: Wir haben uns die Lage in Deutschland und wir haben uns die Menschen angeschaut. Dadurch haben wir einen Insight gewonnen und festgestellt: Da herrscht eine ganz große Politikverdrossenheit. Die Menschen vertrauen den Politiker:innen gar nicht mehr. Die sagen, das ist eine Kaste, die ist so weit von uns entfernt, dass sie gar nicht unsere Probleme versteht, dass sie falsch reagiert, dass sie aus politischen Antrieben handelt und eben nicht für uns.

Aus dieser Politikverdrossenheit haben sie eigentlich das Vertrauen verloren. Und wir sagen, wir haben das erkannt. Wir haben erkannt, dass ihr bereit seid für einen Neuanfang, dass ihr etwas Neues wollt, dass ihr eine Veränderung wollt, dass ihr das einfach nicht mehr wollt. Daraus entstand dann das Angebot. Das heißt, wir stehen dafür bereit, dass aufgrund dieser Bereitschaft von euch in die Hand zu nehmen und einen echten Neuanfang mit euch zu starten. Das ist unser Angebot. Deshalb glaube ich, ist das, was du eben gesagt hast, ein sehr involvierender Gedanke, weil es die Menschen miteinbezieht. Ganz im Gegensatz zu: ‚Der Olaf Scholz, der macht das schon irgendwie.‘ Wir beziehen die Menschen ein, wir verstehen die Menschen. Darauf basierend haben wir ein Angebot, bei dem wir sagen: ‚Ja, wir können. Wir finden die richtige Antwort darauf. Wir können euch helfen und wir starten einen Neuanfang.‘

Aufbruch: Menschen im Mittelpunkt

Miriam: Es ist ja ein bisschen vergleichbar. Also ich will das jetzt nicht auf die gleiche Ebene heben, es sind ja auch ganz andere Länder. Aber Obama hat nicht gesagt, ‚Yes, I can!‘, sondern ‚Yes, we can!‘. Das ist einfach dieses Mitreißende, das mit diesem kleinen Wörtchen geschaffen wird. Eben mit der Ansprache und man sieht es auch auf den Motiven, dass da zum Beispiel Annalena Baerbock gar nicht das zentrale Gesicht ist, sondern zum Beispiel ganz normale Bürger:innen im Mittelpunkt stehen. Du kannst vielleicht auch nochmal zwei, drei Stickpunkte sagen zur Bildsprache, ihr habt auch nochmal viel an dem Optischen modernisiert.

 
 
 
 
 
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Kurt: Wenn man mal die Grünen-Kommunikation anschaut, dann sah die immer so ein bisschen selbstgebastelt aus, sage ich jetzt mal. Das war ein dunkelgrüner Hintergrund mit Elementen drauf und so weiter und sofort. Wir haben gesagt, wenn wir von einem Neuanfang sprechen, müssen wir uns von gewissen Dingen verabschieden. Das heißt, das Erste, was wir getan haben – und das ist jetzt rein gestalterisch –, wir haben uns von der Schrift verabschiedet, die seit Jahrzehnten benutzt worden ist. Stattdessen haben wir uns für eine Typo entschieden, die, wie ich mir vorstellen kann, Nike auch benutzen würde. Also einen frischen, dynamischen Auftritt, durch die klare Erkennbarkeit gekennzeichnet, dass wir grün sind.

Natürlich sind wir grün. Das sollte sich eben auch in der Gestaltung ausdrücken. Deshalb haben wir gesagt, gut, dann machen wir einfach mal grüne Plakate. Und zwar in einem frischen neuen Aufbruchsgrün. Wir nennen das Pistazie. Ich finde es, das ist ein frühlingshaftes Grün, wo man das Gefühl bekommt, da entsteht etwas Neues. Dann haben wir, das hast du richtig erkannt, erstmal nicht nur unsere Spitzenkandidatin Annalena Baerbock in den Vordergrund gestellt, sondern die Menschen. Wir haben versucht, unterschiedliche Themen abzudecken, um zu sagen: ‚Was sind unsere Positionen für diese Themen? Wie sehen wir Reichtum und Armut? Wie sehen wir den sozialen Zustand unseres Landes? Wie sehen wir das Thema Klima?‘

Wir sprechen über die unterschiedlichsten Bereiche. Wir sagen, dass die Leute auf dem Land nicht abgehängt sein dürfen und so weiter. Wir beziehen also Positionen aus dem Gedanken ‚Bereit, weil Ihr es seid!“ heraus, weil wir eure Probleme verstehen. Natürlich spielen dann unsere Spitzenkandidat:innen eine Rolle, also Annalena Baerbock und auch Robert Habeck. Es heißt ja nicht, dass wir jetzt, nur weil wir sagen, ‚Annalena Baerbock ist unsere Spitzen- und Kanzlerkandidatin‘, dass der Robert Habeck keine Rolle mehr spielt. Das war ein tolles, eingespieltes Team. Wir hatten das große Luxusproblem gegenüber anderen Parteien, dass wir wirklich zwei Menschen hatten, die eigentlich diesen Job übernehmen konnten. Und dann musste man sich letztlich für einen entscheiden. Deshalb gibt es eben auch Plakate, wo die beiden auftreten und ein klares Statement geben zu der politischen Situation.

Miriam: Das habt ihr vom Wording her auch ganz clever gelöst. Ich weiß nicht, ob es Absicht war, aber ich unterstell dir das jetzt mal: Bei ‚Bereit‘ ist quasi ein verstecktes Subjekt dahinter, was aber nicht genau benannt wird. Es ist nicht ‚Annalena ist bereit‘, ‚die Grünen sind bereit‘ oder ‚Robert und Annalena sind bereit‘, sondern das ist wahrscheinlich bewusst offengehalten. Und darum geht’s ja am Ende auch nicht. Aber die Intention kann man schon hinter dem Wording erkennen.

Kurt: Klar. Und natürlich entwickelt sich eine Kampagne. Diese Kampagne, die ist vor Monaten entwickelt worden. Natürlich wird es eine Zuspitzung geben, über die ich jetzt noch nicht so viel erzählen möchte. Aber es wird sie geben. Dann wird der Fokus noch viel, viel stärker auf unserer Kanzlerkandidatin sein.

Wahlprogramm kommunizieren: Das Zauberwort heißt Verdichtung

 
 
 
 
 
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Miriam: Du leitest wieder perfekt in meine nächsten Themen über. Und zwar, was jetzt eigentlich die nächsten Schritte sind, um genauer ins Programm zu gehen. Jetzt ist ja erst einmal der Claim da. Da ist ein Feeling, da sind Gesichter, da sind neue Farben. Kannst du uns schon ein bisschen vorwegnehmen, wie ihr jetzt auf die Themen vor allen Dingen genauer eingeht? Unabhängig von den Personen.

Kurt: Das ist unsere tägliche Aufgabe, das ist Verdichtung. Wie kann ich einen komplexen Sachverhalt auf das Extremste verdichten? Im Plakat ist die größte Herausforderung, denn da bin ich in der Zweidimensionalität. Da kann ich nicht eine Geschichte erzählen wie in einem Film. Da muss ich das möglicherweise mit einer Headline aus fünf Worten so ausdrücken und klar formulieren, dass der Mensch versteht, worum es bei diesem einen Thema geht.

Und da wir kein ganzes Parteiprogramm abbilden können, haben wir uns entschieden, unsere Hauptthemen anzusprechen. Wir haben, ich glaube, sieben Stück identifiziert, die wir den Menschen in den Plakaten, in dieser verdichteten Form, erzählen. Wir versuchen, sie damit auch emotional abzuholen. Dass sie also sagen, ‚Okay, diese Partei verspricht mir zu diesem speziellen Thema diese Position, das und das und das.‘ Das ist unsere Aufgabe gewesen. Und das ist eben unser täglich Brot. Das machen wir, Markenwerbung. Das machen wir für andere Dinge auch. Das ist die Kunst, würde ich sagen, die wir leisten müssen.

Wirkt Print noch? Die Kampagne als Grundrauschen

Miriam: Jetzt können wir vielleicht einen Schritt zurückgehen. Es werden die ersten Plakate aufgehangen, wenn man durch die Straßen geht. Daneben gibt’s schon jede Menge Medienrummel. Schon seit Monaten zu einzelnen Personen, zu den Parteien, aber eher zu den Personen. Das passiert alles nicht im luftleeren Raum, das, was ihr euch ausdenkt. Wäre ja schön, aber da passiert leider immer viel herum. So eine Kampagne ist ja dann doch auch aufgrund der Medien, Plakate, Videos, Bewegtbild und TV-Werbung, auch nicht besonders flexibel. Zumindest in der Phase, in der ihr jetzt seid. Wie geht ihr damit um, auf all diese aktuellen Geschehnisse einzugehen? Was kannst du vielleicht noch sagen, was eigentlich euer Aufgabengebiet ist und was am Ende nicht? Was macht eventuell die Social-Media-Abteilung eher im nächsten Schritt, wo ihr vielleicht raus seid?

Kurt: Diese Kampagne, die wir vor Monaten entwickelt haben, ist das Grundrauschen. Das heißt, das ist, die ist da. Die macht unsere Position klar. Natürlich kann ich da nicht spontan und schnell irgendwie reagieren. Das ist auch nicht die Aufgabe, die seit dieser Kampagne da ist. Ich stelle mal einen harten Vergleich an: Der Straßenwahlkampf mit der Plakatierung der unterschiedlichsten Parteigruppierung, da hat der Mensch die Möglichkeit, die Positionen der Parteien im Vergleich zu sehen. Das ist eine langüberlegte Strategie. Man kann dann durchaus sagen, okay, die Partei nimmt sich diesem Thema so an, diese Partei macht das so. Hier ist der Olaf Scholz, der das alles irgendwie in den Griff bekommt. Das heißt, da habe ich den großen Vergleich. Das ist aber wirklich, wie gesagt, das Grundrauschen.

Natürlich findet die Kampagne noch in anderen Medien statt, auch in Social Media. Das heißt, unsere Aufgabe von der Agentur ist, die Kampagne in Social Media zu übersetzen. Das sind dann kleine Videos, auch anlassbezogen. Zum Beispiel strahlt man zur Briefwahl nochmal eine Kampagne aus, die auch über Social Media gut ausgespielt werden kann an die betreffenden Menschen, die wir erreichen oder überzeugen wollen.

Aber es gibt auch immer den Fall, da behauptet irgendjemand etwas in einem Fernsehinterview. Kann ich da mit der Kommunikation auch reagieren? Ja, das kann man. Dafür ist Social Media zum Beispiel eines der besten Tools. Da kann ich ganz schnell ein Sharepic machen und eine Antwort auf diese Diskussion geben, die vielleicht auch gegen uns geführt wurde. Wir nennen diese sehr schnelle Erwiderung auf eine Aussage das Rapid-Response-Tool. Wir haben uns dabei grundsätzlich getrennt von dem Social-Media-Auftritt, dass wir die Kampagne in Social Media umsetzen. Die große Social-Media-Arbeit, die Begleitung der Spitzenkandidatin auf ihren Veranstaltungen zum Beispiel, wird also von den Grünen selbst gemacht.

Miriam: Wir haben uns im Rahmen eines Reports, den wir selbst für uns gemacht haben, angeschaut, wie die Kanzlerkandidat:innen im Mai – als überhaupt bekannt war und feststand, wer die Kanzlerkandidat:innen sind – sich auf Social Media präsentieren. Bei Annalena Baerbock ist uns dabei aufgefallen, dass sie zum Beispiel auf Insagram bewusst Kommentare ausgeschaltet hat. Wahrscheinlich auch aufgrund der Geschehnisse. Sie stand ja extrem unter Beschuss und Social Media ist ja auch ein sehr trolliges Umfeld. Wird es denn da eine Öffnung geben in den nächsten Wochen? Wird es dann da auch wieder auf Social Media Dialog geben, nachdem das Grundrauschen und die Themen gesetzt sind? Kannst du schon was dazu sagen?

 
 
 
 
 
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Kurt: Da das in der Hand der Grünen selbst liegt, kann ich da schwer was sagen. Aber ich vermute schon. Das wäre auch meine Empfehlung, man muss in Dialog treten. Natürlich muss man seine Position klarmachen und idealerweise kommuniziert man dann auch gut. Damit es nicht nur, wie kann man das sagen…

Miriam: nicht nur in eine Richtung geht.

Kurt: Genau. Es ist nicht nur eine One-way-Kommunikation, sondern es muss immer, denke ich, auch ein Dialog sein.

Umgang mit Fake News und Social Media

Miriam: Ich würde auch nochmal deine Erfahrungen ein bisschen anzapfen. Weil du ja meintest, das ist nicht die erste Wahlkampagne, die du begleitest. Du hast schon viele Erfolge und auch einen Misserfolg gefeiert. Aber es hat sich in den letzten Jahren extrem viel gewandelt. Das ganze Thema Fake News, die Dynamik in den sozialen Medien generell. Über einzelne Leute wie Trump und so weiter hat sich halt einfach nochmal eine ganz andere Dynamik ergeben. Wie geht ihr damit um? Lasst ihr das erstmal außen vor, wenn ihr die Kampagne plant? Oder beschäftigt ihr euch damit, in irgendeiner Form darauf einzugehen? Wenn es jetzt darum geht, auch Fake News zum Beispiel aufzudecken beziehungsweise. dagegen zu wirken?

Kurt: Das allererste war, dass wir versucht haben, beziehungsweise die Grünen selbst versucht haben, sich mit den anderen Parteien zu einigen, dass man einen fairen Wahlkampf führt. Das heißt, dass es innerhalb der Parteien nicht polemisch und irgendwie mies wird. Natürlich kann man seinen politischen Gegner auch durchaus mal kritisieren, aber das muss nicht in der Härte sein, wie man das gerade aus dem Internet kennt. Das andere kann man nicht steuern, das passiert.

Es wird ja immer gesagt, dass der Putin seine Finger im Spiel hat, wenn es darum geht, irgendwelche Menschen oder politischen Bewegungen zu diskreditieren und daran arbeitet, das zu tun. Das war bei dem Wahlkampf in den USA so. Es wird auch gesagt, dass das hier der Fall ist. Man kann sich da wirklich sehr schlecht wehren. Das findet einfach statt und ich habe ehrlich gesagt keine Antwort darauf, was man tun kann. Man sollte versuchen, es in die Leere laufen zu lassen. Aber natürlich gibt es Menschen, die an diese Dinge glauben, und es sind einem irgendwie dann doch die Hände gebunden, irgendetwas zu tun.

Miriam: Das ist genau das Ding, was man sagt: Man will dem gar keine Bühne bieten, aber man darf es auch nicht unterschätzen, den offensichtlich hat es schon seine Wirkung gezeigt. Aber darüber hinaus: Hast du in den letzten Jahren eine generelle Veränderung festgestellt, wie Wahlkampagnen, wie Wahlkampf sich verändert? Wie die Nutzung, die Mediennutzung der Wähler:innen sich verändert? Worauf sie besonders anspringen? Wir hatten im Vorfeld auch darüber gesprochen: Wirkt denn Plakatwerbung überhaupt noch? Ist das überhaupt noch was, was bei all dem ganzen Medienrummel drumherum eine Wirkung hat? Also wie siehst du das im ganzen Raum der Mediennutzung, also die Wahlkampagne?

Kurt: Wenn ich sehe, dass einer der größten Technologiekonzerne, nämlich Apple, die meiste Kommunikation auf Plakaten macht, dann muss man sich schon überlegen, ‚Ja, irgendwie scheint das kein falsches Medium zu sein.‘ Das heißt jetzt überhaupt nicht, dass ich denke, dass es ausreicht, Plakatkampagnen zu machen. Ganz im Gegenteil! Ich glaube, der wirkliche Wahlkampf findet auf Social Media statt. Aber als ein Grundrauschen, als ein sich Positionieren – vor allem sich im Vergleich zu positionieren – ist das sicherlich ein sehr gutes Mittel. Vor allem auch, wenn du dann sagst, wie kann ich denn parallel unterschiedliche Botschaften rausbringen.

Natürlich ist Social Media sicherlich das wichtigste Medium, das auch den großen Unterschied ausmacht, glaube ich, zu den Wahlkämpfen von vor zehn Jahren. Vor ein paar Jahren ist das schon intensivst genutzt worden. Aber natürlich ist das ganz wichtig, weil man dort aufspielen kann. Man kann wirklich gucken: Wo sitzen genau die Menschen, die ich erreichen möchte? Welches Argument zieht da? Welches Argument zieht bei der anderen Zielgruppe, die ich wieder anders erreichen kann? Das heißt, die Aussteuerung meiner Botschaften ist durch Social Media wahnsinnig effektiv. Viel effektiver als Plakate, wenn man das jetzt mal in Vergleich setzt. Da hat man nur die Chance, wenn man wirklich präsent ist. Wenn man möglichst viele Plakate aufhängt, dann hat man die Chance, eben diese Sichtbarkeit zu haben. Aber natürlich: Zielgerichtete Kommunikation durch Social Media ist unschlagbar.

Miriam: Da lass uns…

Kurt: Entschuldige! Und macht den großen Unterschied zu wirklich, sagen wir mal, den alten Wahlkämpfen also wahrscheinlich noch von vor 10 Jahren.

Miriam: Ja, gerade das Targeting. Wenn man da wirklich technologisch clevere Lösungen schafft, genau die richtigen Inhalte an die richtige Person zu kriegen, die sich mit diesen Themen total identifiziert.

Kurt: Zum richtigen Zeitpunkt noch dazu.. Ich bin viel schneller mit einer Reaktion in Social Media oder mit der Möglichkeit vom Ausspielen von Botschaften. Man kann auch direkt reagieren. Die Rapid Response ist natürlich das Tool, was ich in Social Media am besten anwenden kann.

Nach der Wahl ist vor der Wahl?

 
 
 
 
 
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Miriam: Wir sind auf jeden Fall gespannt. Wir werden auch noch ein bisschen beobachten, was sich jetzt an Dynamik steigern wird. Ich glaube, es wird echt ein sehr spannender Wahlkampf. Die Klimax dessen ist ja dann die Wahlnacht. Du hast jetzt schon einige dieser spannenden Tage hinter dich gebracht. Wie sehr geht dir das ans Herz, wenn die Grünen jetzt besonders stark oder eventuell besonders schwach dastehen? Nimmst du das extrem persönlich? Wie verarbeitest du das beruflich? Und vor allen Dingen: Was passiert am Tag danach? Fällst du da in ein Loch und oder wird erst mal der Urlaub gebucht?

Kurt: Das Irre ist: 18 Uhr am Sonntag ist die Stichzeit. Bis dahin geht der Puls immer höher. Das ist die riesengroße Aufregung, wenn man weiß, wie viele Nächte, wie viele Tage, wie viele Monate man sich mit dieser Sache beschäftigt hat. Und da fällt die Entscheidung.  Es ist nicht nur eine Kampagne. Da weiß man, dass man zumindest einen Teil dazu beigetragen hat zum Erfolg oder möglicherweise eben auch zum Misserfolg. Natürlich ist man super, super aufgeregt und –

Miriam: …da geht dir der Puls.

Kurt: Ja, da geht der Puls! Da redet man vorher, da sagt man, es gibt schon Vorprognosen. Ich weiß, bei der Europawahl kam jemand auf mich zu: ‚Ah, das ist ganz schlecht gelaufen. Wahrscheinlich liegen wir bei 15/16 Prozent.‘ Nachher waren es 22 Prozent. Das heißt, du kannst selbst dann Prognosen nicht ganz glauben. Und dann entlädt sich das natürlich. Das kennen wir von den Aufnahmen. Du siehst, in der einen Parteizentrale wird gejubelt und die Leute umarmen sich. In der anderen ist es totale Trauerstimmung. Also so ist das. Das ist jetzt wie beim Fußballspiel. Die eine Mannschaft gewinnt, die andere verliert. Das sind emotionale Welten. Und natürlich haben alle Urlaub gebucht ab dem 27. September.

Miriam: Ich stelle mir das wirklich vor wie ein Rockstar auf einem Konzert. Du bist erst in der absoluten Euphorie im besten Fall oder extremen Anspannung und Adrenalin. Und dann, sobald die Bühne leer ist, ist quasi alles erst einmal weg, alles, wofür man monatelang gearbeitet hat. Es ist erst mal passé. Die Arbeit ist getan. Ich stelle mir das wirklich als ein sehr interessantes Gefühl vor. Aber ich glaube, die Erschöpfung wird dann auch ziemlich groß sein.

Kurt: Das kennt man ja selber, wenn man vielleicht nicht leidenschaftlich Fußball spielt, aber Fußball schaut und man hat eine Weltmeisterschaft. Da ist die Mannschaft, die man unterstützt, die gewinnt oder die verliert. Das Gefühl kennt man. Dann wacht man am nächsten Morgen auf: Entweder ist die Freude noch da oder man möchte sich gleich wieder umdrehen und weiterschlafen. Weil man mit der Enttäuschung nicht leben kann. Aber natürlich fällt das ab. Und natürlich ist dann irgendwie vor dem Spiel nach dem Spiel. Da kommen neue Aufgaben und man beschäftigt sich damit. Aber spannend ist es allemal. Und vor allem diese Zuspitzung auf diesen einen Termin. Das ist schon einzigartig.

Miriam: Na wunderbar. Dann drücken wir dir natürlich für diesen Termin alle Daumen, dass alle Ziele eurer Kampagne erfüllt werden. Und danke nochmal für die Zeit, die du dir genommen hast und die spannenden Einblicke in eure Arbeit.

Kurt: Ja auch vielen Dank!



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